Wenn man sich vorstellt frei zu sein, an was denkt man dann? Zu tun und lassen was einem gerade in den Sinn kommt? Sich in Sicherheit wähnen?
Sie sitzen, sie stehen, sie spucken, sie schlendern. Man würde vielleicht sagen, sie lungern einfach immer herum. Man könnte sagen, dass sie untätig sind und nichts auf die Reihe kriegen.
Walter sagt zu mir im Bug des Speedbootes, für ihn und die Newguinis sei es entscheidend was jetzt, genau im Jetzt passiert, was man fühlt und tut. Wir sind frei und wild. Ich denke, dass kenne ich doch von guten Vorsätzen. „Sei mehr im Moment usw.“ Es gibt keine klare Vergangenheit und Zukunft, es gibt das jetzt erzählt Walter weiter.
Im Westen ist die Zeit eine Linie. Sie hat eine Strecke zu gehen, hat eine schon gegangenes Stück und noch eine Strecke vor sich, man tut die Dinge für die Zukunft, immer hat man im Fokus was dann kommen soll. Ein einziger Plan. Ich fühle mich erinnert. Mach dies, damit du dann das, und wenn du da hin gehst kannst du danach dorthin. Bleib in Bewegung, immer schön vorwärts gehen, weil da kommt ja noch was auf dich zu, das da wartet. Aber was ist es denn, welche Zukunft?
Du sitzt mit Walter auf der Ladefläche eines Pickups, hältst an einem Markt an der Straße und die Kokosnuss fällt dir buchstäblich in den Schoß. Du setzt dich unter eine Palme, schlägst die Nuss am Baumstamm der Palme auf und schlürfst genüsslich das säuerlich erfrischende Kokosnusswasser. Du denkst dir: wann wache ich auf?!
Walter und ich, wir stehen und sitzen und spucken und schlendern. Wir lungern einfach so rum im Paradies. Ich stelle mir vor, dass durch Geisterhand die beiden Völker ausgetauscht werden, die europäischen sitzen hier unter den Palmen und Walter und alle Newguinis wären in Berlin, Paris und Rom. In meiner Vorstellung würden alle Newguinis krank werden, gehetzt sein und depressiv dahinsiechen. Die Europäer würden versuchen Berlin, Paris und Rom auf den Palmen zu errichten, sie kämen wahrscheinlich gar nicht auf die Idee zu lungern unter den Palmen, denn wer rumlungert tut nichts, bekommt sein Leben nicht auf die Reihe und kommt nicht vorwärts. Du darfst nicht lungern. Selbst wenn du beim Arbeitsamt bist wird dir nicht gewährt zu lungern, es gibt Kurse und Pflichten, die zu erfüllen sind damit du bald wieder schön Richtung Zukunft unterwegs bist. Lungerer sind der Sand im Getriebe. Für eine Auszeit gehe man doch bitte zum Yoga oder Schnorcheln nach Papua, zum Beispiel. Mir gruselt es ein wenig wenn ich daran denke, wie es sein wird zurück zu kommen. Hermann Detzner und die Missionare brachten feste Häusern, Kanalisation, Strom nach Papua. All dies wird genutzt aber ohne die Zukunft im Fokus zu haben. Es verrottet allmählich, das Gemeindehaus, die Kanalisation, wenn das Auto nicht mehr kann bleibt es im Garten stehen. Vielleicht als Beet für Gemüse oder Abenteuerspielplatz.
Manche Leute sagen, dass sei furchtbar, dumm und verwerflich alles so verkommen zu lassen, man habe doch soviel den Leuten geholfen damit. Aber keiner hat die Newguinis jemals gefragt ob sie das alles wollten oder vielleicht nicht lieber ihre eigenen Dinge erfunden und gebaut hätten. Papua-Neuguineas Unabhängigkeit ist noch jung und ein Land muss nicht alles Übergestülpte übernehmen und kopieren. Vielleicht kann es einen Weg finden der Walters Beschreibung seines Volkes viel näher kommt. Er sagt, er merke wie es sich verändert und alte Sachen vergehen. „Time is changing“ sagt er mir unter einem gigantischen Sternenhimmel und ich denke ich schneide mir eine dicke Scheibe vom Herumlungern ab und werde sie mir mitnehmen nach Hause.
2 Kommentare zu „TIME“
Walter, hast Du? Ich meine, hast Du sie gefragt? Time is changing…
Die größte Form des Daseins ist der Müßiggang. Den haben wir verlernt, weil wir dauernd mit der Zukunft arbeiten und die Zeit planen wollen. Dem Wort Abhängen wohnt in unserer Lebenswirklichkeit etwas Negatives inne. Ich hingegen sage, NEIN. Wer abhängt, bricht immerhin kein Krieg vom Zaum. Das entspannt sogar die Weltpolitik.
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