Allan liegt nachts in seinem Camper am Pistenrand im Nirgendwo des Outbacks. Der nächste besiedelte Ort ist 400km entfernt. Er bemerkt einen PKW, der direkt neben ihm hält, doch er hört niemanden aussteigen. Allan verlangt es nicht nachzuschauen, was da draußen los ist. Ja, es juckt ihn einfach nicht und er schläft sorglos wieder ein. Am Morgen steht er auf und sieht neben seinem Camper ein zusammengeflicktes Vehikel stehen, bei dem jede Tür eine andere Farbe hat und drei Scheiben fehlen. Auf dem Fahrersitz schläft ein Aborigini. Allan weckt ihn und fragt, ob alles in Ordnung ist. Der Mann erwacht und erinnert sich augenscheinlich seines Anliegens. Er braucht ein Rad mit fünf Schraubenöffnungen, genau wie Allans Camper welche dran hat. Er bedeutet Allan, eines abzuschrauben und ihm zu geben. No way, sagt Allan. Doch, sagt der Aborigini, er braucht es. Keine Chance, forget it und im übrigen Have a good day! Allan steigt in seinem Jeep, der den Camper zieht. Die Räder bleiben dran. Er hält sich nordwärts. Sein Ziel wird sich ergeben.
Als wir Allan auf der „Plenty-Highway“ genannten Schrund- und Buckelpiste treffen, hält er gerade ein Nickerchen in seinem völlig abgerocktem, aber offenbar hochintaktem Wüstenmobil. Wir rollen langsam vorrüber, vielleicht braucht ja jemand unsere Hilfe. Allan wird wach und winkt uns. Wir fahren weiter. Später rasten wir vor struppigem abgebrannten Büschen und Eukalyptusbäumchen (ein Buschbrand war vor neun Wochen hier durchgezogen) und suchen gerade Feuerholz für unsere Nacht in Jervois-Station. Diesmal hält Allan an und sucht das Gespräch. Wir werden später den Abend gemeinsam auf der winzigen Campsite am Marshall-River verbringen und lange mit dem alten Wüstenfuchs plaudern.
Er ist schon hochbetagt, in seinen späten Siebzigern und ihn plagt ein starkes Hüftleiden. Seine hühnenhafte Statur bekleidet eine noch nie Wasser gesehene Hose und ein reudiges Shirt mit der Aufschrift EXPO Hannover 2000. Er benutzt in Diesel getränkte Teebeutel als Feueranzünder, sein Equip scheint aus der Goldgräberzeit zu stammen, doch ist es so viel effektiver als unser Outdoorkram. Er hat immer lachende Augen und einen Seemannsbart. Er sagt, wenn er denn mal jemand trifft, dann redet er zuviel und damit hat er nicht unrecht.
Aber er hat soviel interressantes zu berichten, dass wir kaum satt davon werden. Die Aborigines-Geschichte gehört natürlich dazu. Allan sagt, es gibt keine Lösung für diesen Konflikt zwischen den Weißen und der first nation in Australien. Beide leben wie in getrennten Universen. The only connection is money. Sie leben gern auf „wertlosem“ Boden in abgeschiedenen Gebieten. Sie haben gerne nichts zu tun, denn es gibt einfach nichts zu tun, seitdem die Traumpfade zerstört sind, jene für uns und inzwischen auch für sie unsichtbaren Linien, denen ihre Ahnen 60.000 Jahre lang gefolgt sind. Die Dreamlines sind zerschitten von Highways, Tagebauen, Bergbauminen, Testgeländen und unendlich vielen, riesigen Viehfarmen der Weißen. Zäune, Zäune, Zäune. Wir sahen bisher kein einziges Känguru, nur Rindviecher, einen überfahrenen zwei Meter langen Waran, ein paar wilde Pferde und die vielen wunderlichen Vögel mit ihren bezaubernden unnachahmlichen Gesängen. Die scheinbar letzten freien Wesen der Terra australis.
Ich denke, dass bei früheren, sagen wir mittelalterlichen Eroberungen die jeweiligen intruders nicht mit der Wimper gezuckt hatten und jeden der sich nicht unterwarf, gnadenlos ausgemerzt haben. Die Engländer waren nah dran, es vor 150 Jahren hier genauso zu machen. In Tasmanien hat niemand überlebt. Auf dem australischen Festland war der Siedlerkoloniallismus bei weitem härter im Gibs ihm als der ihrer amerikanischen Vettern. Die Tribes der Aborigines wurden auseinandergerissen, in Lager gesteckt und bewußt durcheinandergewürfelt, die Kinder kamen in Heime, Frauen wurden sterilisiert. Das ganze Programm der Auslöschung lief auf Hochtouren, bis der zweite Weltkrieg, bei dem der tapfere Australier half, andere Barbaren in die Knie zu zwingen, eine kurze Pause und die Möglichkeit der Selbstreflexion einräumte. Seitdem schwebt die koloniale Angelegenheit in lähmender Schwere und der australische Souverän musste immer mehr Rechte dem Ureinwohner einräumen und zurückgeben.

Seit drei Tagen ist nun das Besteigen des Uluru (der Weiße nennt ihn schlicht und despektierlich Ayers Rock) verboten. Allan findet, dass das zuweit geht, schließlich gehört so ein Berg niemand oder allen. Ich muss an den Witz mit den zwei Planeten denken, die sich begegnen und nach dem Wohlbefinden des anderen befragen. Der eine sagt, shit, ich glaube ich habe homo sapiens. Sagt der andere, lass jucken, hatte ich auch schon mal, geht von selbst vorbei.
Auch muss ich an Bukowski denken. Die Masse liegt immer falsch. Und so gesehen, würde es den Deutschen auch nicht schmecken, wenn sie unter, sagen wir, chinesischer Herrschaft geraten wären, sich chinesische Touristen in Scharen auf dem Dach des Kölner Doms herumtreiben würden. Was ziemlich schwer wäre, aber der Chinese würde sicher auch das schaffen. Wie der Mensch immer alles schafft, besonders sich selbst. So wie wir den Plenty Highway nach zwei Tagen beackert hatten, um jetzt in Boulia zu sein, um in dieser kleinen zauberhaften weißen Siedlung am Rande der Simpson-Wüste zu verschnaufen. Denn morgen geht’s tiefer hinein in die Wüste, 180km an den Mulligan-River, wo ein Überlebender der Leichhardt-Gang, vielleicht er selbst, vielleicht sein Schwager Classen, übergelaufen war und dreißig Jahre mit Aborigines lebte. As a Grey Nomad.
PS: dann wieder ein paar Tage ohne Netz und doppelten Boden