Mit hundert Stundenkilometer fliegt der Jeep von Michael Jacobsen über die allgegenwärtigen Buckel der Outdoorpiste nördlich von Gemtree. Er liebt diese Strecke und er liebt diese Aborigini-Community. Sie seien sehr friedliebend und auch der Zukunft mehr zu getan, als manch andere Gemeinde, in denen er Partner in Kirchenangelegenheiten ist und einmal im Monat einen Gottesdienst abhält.
Langsam dann, ja beinahe vorsichtig tastet er sich mit seinem großen Toyota durch die wenigen Straßen der Siedlung von Engawala. Es ist niemand zu sehen, nur Hunde streunen und unsere Herzen klopfen laut, so sehr sind wir gespannt, einmal wirklich in Kontakt zu treten mit der first nation, den Aborigines. Michael hält am kleinen Art-Center, dass eine NGO unterstützt und einen Neuseeländer, Jeff hier dauerhaft vor Ort beschäftigt. Er ist auch der Arbeitspartner für Michael, durch ihn gibt es die seltene Gelegenheit für uns für dieses Treffen.
Wir kommen an und Michael stutzt. Das kann nicht sein. Sie sind schon da. Das gibt es doch nicht. Im Vorgespräch hatte er angedeutet, dass alles mögliche, aber am wahrscheinlichsten gar nichts passieren wird und niemand zu dem angekündigten Treffen kommen wird. Der Landcouncil der Aborigines hatte erst vor wenigen Tagen überhaupt dem Ganzen zugestimmt. Die Anfrage hierzu war schon mehrere Wochen alt. Vorsichtig und langsam nähern wir uns der kleinen Runde älterer Männer, die in einem kleinen schattigen Parcour an einem Tisch sitzt. Als wir uns vorstellen, schaut uns keiner recht an. Schüchtern, verschlossen und höchst distanziert mustern uns fünf Augenpaare aus ihrem äußersten Blickwinkel. Aus der Ferne bellen die Hunde, Stille schwebt über der Hazienda, wir warten. Dann übernimmt Jeff die Kommunikation. Stellt uns nochmal vor, woher wir kommen, dass wir einer Geschichte folgen, die in Deuschland ihren Anfang nahm. Ein alter Aborigini holt einen Zettel hervor, auf dem schlicht Ludwig Leichhardt steht. Sucht ihr diesen Mann? Ja so ist es. Den suchen wir.
Der Mann hat nur ein Auge und dieses scheint mich in der Tiefe zu scannen. Ich beginne meine Litanei, warum wir gekommen sind und was wir erforschen wollen. Der Aborigine nickt langsam, die anderen schauen nur seitlich zu uns. Jeff breitet nun eine Landkarte aus und der alte Mann mit dem einen Auge beginnt plötzlich vorzutragen.
Sein Urururgroßvater hatte eine Geschichte weiter gegeben, die von Generation zu Generation weiter erzählt wurde. Leichhardt war mit zwei Aborigines, salty ones (also von der Ostküste) unterwegs gewesen, und mit diesen bis in die Eastern Macdonnalds vorgestoßen, dort sei ihnen das Wasser ausgegangen, sie fanden keine neuen waterholes mehr und hätten sich ostwärts zurück gezogen. Er zeigt auf das Gebiet des Mulliganriver. Dort sei Leichhardt schließlich gestorben. He died `cause of a cold. Unsere Ärztin Arta vermutet eine Lungenentzündung. Joe, so der Name, des Mannes mit einem Auge, nickt bestätigend. Leichhardt hatte erst versucht über Ruby Gab und Arltunga weiter westlich zu kommen. Doch es gab einfach kein Wasser mehr. Schließlich lebte er mit einem Aborigines-Tribe 500km östlich am Mulligan-River und ist dort gestorben.
Ich versuche nach Details zu fragen. Doch vergebens. Es ist eine oral-history, eine Geschichte, die eben nur so weitergegeben wurde. Mehr Details sind nicht möglich.
Wir sind völlig verblüfft und überwältigt, dass uns hier nach so vielen Jahren der Leichhardt-Forschung eine solche Offenbarung zu Teil wird.
Die Runde beginnt sich nach immer mehr zu lockern. Bald sitzen wir alle zwischen den elders von Engawala und es wird vertraulich. Joe erzählt zum fünften mal die Geschichte vom Ende Leichhardts und zeigt immer wieder auf die Orte der Karte, die Orte, denen wir in den letzten drei Wochen nachgespürt sind. Genau dort waren wir!
Ich schaue in die Gesichter der fünf alten Männer und mich überkommt tiefe Sympathie und Glück, hier bei ihnen sein zu dürfen. Jeff und Michael geben uns noch sehr viel Einblick in das so unterschiedliche Denken dieser wunderbaren Menschen, dass wir uns mehr als beschenkt fühlen von dieser kleinen, aber überaus bemerkenswerten Begegnung. Plötzlich stehen die alten Männer auf, wünschen noch ein gemeinsames Foto. Als Joe aufsteht und mir die Hand gibt, öffnet er sein zweites Auge. Ich werde das gewiss nicht vergessen. Was für ein Moment! Dann gehen sie.
Mit dieser Geschichte sind wir heute erneut zu Dick Kimber gegangen, nachdem wir unser Wüstenschiff beim Verleiher wieder abgegeben hatten. Es war noch einmal sehr berührend den großen Kenner der Geschichte Leichhardts zu begegnen. Dicks große Stärke liegt vor allem im Verständnis der Aborigines und deren einzigartiger Kultur. Es war auch für ihn eine große Freude, von unseren Entdeckungen zu hören. Auch da sie seine Theorien zu Leichhardts Verbleib mehr als untermauern. Am Ende unseres Besuches schenkten wir Dick noch einen Stein vom Hale-River, dem Ort des westlichsten L-Baum, den Leichhardt markierte. Dick taxierte und streichelte den Stein lange und schien sehr bewegt, dass wir zurückgekommen waren, um all das zu erzählen.
Doch wir, die wahren und einzigen Greenhörner der Geschichte sind ihm unendlich dankbar, dass er uns vor elf Jahren so geholfen hat. Damals hatte Dick unseren Jeep überhaupt wüstentauglich gemacht, hatte uns mit dem besten verfügbaren Kartenmaterial ausgestattet. Wir haben die Sehnsucht geteilt, den besonderen Mythos von Leichhardt zu untersuchen und Dick war uns diesmal ein guter Geist auf der Piste, um ruhig und gelassen, vorsichtig, doch nicht zu angsterfüllt ins Outback vorzustoßen. Als wir ihm erzählen, dass wir das MinMin-Light sahen, nickt er wortlos strahlend und lächelnd und für den Moment, der lange anhält, teilen wir unser gegenwärtiges Glück mit diesem weisen alten Mann, der soviel von diesem Kontinent und seinen wirklichen Bewohnern weiß, dass er uns fast als das Orakel von Alice erscheint. Als wir gehen, steht er am Zaun seines Hauses und winkt. Wir winken auch und drehen uns immer wieder um. Und winken und winken.
Es ist nun Zeit und morgen kehren wir heim.
