Wir hatten Oklahoma erreicht und ich war verblüfft, wie schön es hier war. Sanfte, sattgrüne Plains, viele Seen und immer wieder markante kleine Berge. In meiner Vorstellung war die neue Heimstatt der Cherokee eine baumlose Einöde, in dem Coyote und Klapperschlange sich gute Nacht sagen. Doch um landschaftliche Schönheit ging es bei der damaligen Vertreibung der American Natives in den Westen nicht. Man schob sie einfach in einen fast unbesiedelten Teil in die Mitte des Kontinents. Dort hatten sich vereinzelt schon ein paar weiße Siedler niedergelassen, die wenig Verständnis zeigten, dass aus ihrem Sooner State durch den Erlass von Präsident Andrew Jackson nun das Indian Terretory wurde. Neununddreißig Stämmen wurde hier nun Land zu gewiesen. Für die kriegerischen Nomaden unter ihnen, wie den Comanchen und den Apachen mag der lange Weg in die Anpassung zum braven Amerikaner weitaus schwieriger gewesen sein, als für die schon „zivilisierteren“ Cherokee. Letztere hatten sich Priebers Ratschläge zu Herzen genommen, zu lernen, was die Weißen lernten. Ob sie noch von Priebers Schicksal erfuhren, nach dessen Entführung durch die Rotröcke seiner Majestät Georg V.? Prieber hatte sich auf den Weg zu den Muskogee gemacht, um ihnen seine Idee einer Konförderation der Indigenen darzulegen. Die vielleicht letzte Chance die kommende koloniale Flutwelle zu dämmen. Die den Cherokee feindlich gesonnenen Creek führten eine Handvoll britischer Soldaten auf die Spuren des schon lange gesuchten. Die Administration in Charleston waren Priebers Utopien eines urdemokratischen Freistaates „Paradies“ durch die Petzenhaftigkeit einiger verkommener Trader nicht verborgen geblieben. Und bevor sich gute Ideen rumsprechen, verteufelt man sie erstmal. Prieber wurde als französicher Spion hingestellt, ein gefährliches Subjet, der den so zarten Frieden zwischen Wilden und Kolonie zu untergraben versucht. Nur ein toter Prieber ist ein guter Prieber. So brachte man ihn nach Port Frederica an Georgias Atlantikküste, wo er in einer muffigen Gefangenenbaracke seine letzten Tage fristete. Das Fort brannte irgendwann ab. Lebte Prieber da noch? Wir wissen es nicht.
Für die Cherokee blieben noch gut 90 Jahre bis zur Vertreibung, die sie zur Weiterbildung nutzten. Sie entwarfen eine eigene Schriftsprache, um selbst den „talk on paper“ zu beherschen. Sie ließen sich gar missionieren, ausgerechnet von den Herrenhutern, die aus der unmittelbaren Heimat von Prieber stammten. Herrenhuth bei Zittau. Ob es da noch eine alte Connection gab? Das muss ich mal in Deutschland recherchieren.
Nach einer sanften Nacht auf einer wunderschönen Halbinsel eines großen Sees waren wir dann nach Tahlequah gefahren. Die Hauptstadt der Cherokee-Nation, benannt nach der alten Heimat Tellico in Tennesie. Das machen wohl alle Entwurzelten so. Wir waren schon durch Stuttgart, Palästina und Germantown gekommen. Tallaquah, die Kleinstadt im Osten Oklahomas machte keinen günstigeren Eindruck, als die anderen Kleinstädte durch die wir kamen. Nur nicht so abgewrackt wie die Klitschen in Arkansas, meinten wir. Vermutlich halfen die Einnahmen aus dem Cherokee-Casino den Wohlstand zu heben. Die Casinos der American Natives waren ein Zugeständnis ihrer neuen weißen Herren. Selbige verbaten sich in moralinsaurer Bigotterie den Betrieb des Spiels des Teufels. Hineingehen taten sie natürlich zahlreich und so flossen jährlich ein paar Millionen Dollar in die Kassen der Tribes.
Wir biegen auf das Gelände der Cherokee-Nation ein und da winkt auch schon ein Mann im blauen Shirt. Wir sind richtig. Wir treffen John Ross. Ein elder, ein Stammesältester, den uns Lou Jackson vermittelt hat. Seine warmherzige, offene Art läßt ihn einen schnell ans Herz wachsen. Wir bauen den Interviewset nahe des neu angelegten Gartens der alten medicine plants, der Heilpflanzen der Cherokee auf. Von Prieber hat er noch nie etwas gehört, wohl aber sehr viel über die Zeit nach dessen Aufenthalt bei seinen Ahnen. Er berichtet vom Clansystem seiner Ancisters und weiß, dass er dem Wolfs-Clan angehört. Wir erfahren viel über das alte Stammesleben und auch über die erfolgreichen Strategien sich das Wissen der Weißen anzueignen. Als Andrew Jackson 1830 den Removal Act verabschiedete, hatten die Cherokee bereits eigene Anwälte, die sich im amerikanischen Rechtssystem gut auskannten. Sie zogen vor Gericht, letztlich bis zum Surprime Court und dieser gab ihnen Recht. Die geplante Verteibung widersprach der jungen amerikanischen Verfassung und das Gesetz dazu war irregulär. Ich erinnere mich daran, was mein Vater mich schon als kleinen Jungen lehrte, Recht ist nicht das, was du hast, sondern das, was du bekommst. Die Siedler und die Army waren sich einig, die gottlosen Rothäute müssen weg. Wenn man alte Zeitungen aus der Zeit studiert, liest sich das wie die Streicher-Presse der Nazis. Der indianische Untermensch in all seiner Verkommenheit war vor dem Gesetz nun mal nicht gleich. Der erste Goldrausch in der Geschichte der Vereinigten Staaten in den 1830ern ausgerechnet im Land der Cherokee brachte die Walze dann ins Laufen. Der Stamm begab sich auf den entbehrungsreichen 1500km langen Trail of Tears. John Ross erzählte uns, dass es heute Cherokee gibt, die den 20 Dollar-Schein nicht benutzen, da er das Bild von Andrew Jackson ziert. Gar nicht so einfach, bei einem Schein, der in rauen Mengen aus dem Automaten kommt, wenn man z.B. 200 Dollar zieht. Ich frage ihn nach ihrem Weg ins moderne Amerika. Es geht ihnen heute gut, auch wenn die letzten 150 Jahre schwer waren und auch in Oklahoma sich alles zu wiederholen schien. Mark Twain schrieb, Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich. Nur noch zehn Prozent des ihnen zugesprochenen und unveräußerlichen Landes im Indian Terretory besitzen die Cherokee heute. Die Gier, die Gier, sagt John Ross, die Gier des weißen Mannes scheint unstillbar. Immer neue Tricks und Gesetze hielten die Cherokee in ihrer neuen Heimat in andauernder Bedrängnis. Selbst in ihrer Hauptstadt Tahlequah bilden sie nur noch eine Minderheit von 25 Prozent. Neben der Eastern Band in North Carolina und der Nation in Oklahoma gibt es noch viele Cherokee in der Diaspora. Keanu Reeves und Kevin Costner haben Cherokee-Vorfahren.
John Ross ist Sprachgelehrter der Mother-tongue des Stammes. Ich frage ihn nach den Wörtern Computer und Internet. Er lacht und erklärt, das Computer „Der Ort, wo man Gedanken lagern kann“ heißt und Internet nennt man „Drähte überall“.
Wir packen zusammen und damit auch vorerst das Prieber-Thema. Wir haben sehr viel Material drehen und aufnehmen können und sind zuversichtlich für alle Gewerke wie Film, Feature, Fotografie und Malerei fantastisches Footage nach Hause zu bringen.
Es geht nun nach Lawton, West-Oklahoma zu den Comanchen und in die Geschichte Hermann Lehmanns. Abends machen wir am schönen Lawtonka-See fest und mit uns ein Gewitter, dass sich gewaschen hat. Hat uns der Hurrikan doch noch eingeholt? Es bläst und giest die ganze Nacht aus Eimern. Doch unser rolling home beantwortet das mit einem lässigen Schaukeln.