Als Kai und Rübe vor elf Jahren schon einmal in die Simpson Wüste reisten hörten sie von einer dunklen Figur der Aboridgines, die Menschen, bei Grenzüberschreitungen jeglicher Art mit allerlei Flüchen belegen kann. Der Kadaitcha Mann.
Tatsächlich schien der Kadaitcha Fluch Auswirkungen auf Kai und Rübe zu haben, als Rübe nach der Begehung einer heiligen Stätte der Aboridgines plötzlich starkes Nasenbluten bekam oder Kai einen üblen beulenpestartigen Ausschlag im Gesicht, der selbiges komplett verformte. Obgleich die beiden nicht genau wussten, ob es den Kadaitcha-Mann für die Aboridgines tatsächlich gibt, glaubten sie besser daran als ihn zu missachten.
Der Kadaitcha-Mann wurde in allen darauffolgenden Mangan Expeditionen mythischer Begleiter und in manchem Gastteilnehmer einer Expedition sogar selbst vermutet.
So reisten wir mit einer Segelyacht 2011 über die Ostsee und umrundeten Öland. Mit an Bord Jan, ein Freund von Gordon Adler. Er hatte etwas geheimnisvolles an sich. Redete nicht viel. Wusste und bemerkte aber immer alles. Ein sehr liebevoller Mensch, der durch Wände zu schauen schien und dadurch etwas unheimliches hatte. War er der Kadaitcha-Mann? Tatsächlich erlitten wir Schiffbruch. Ein schwerer Motorschaden. Manövrierunfähig. Tagelanges liegen in einer Werft in Schweden, bis wir endlich mit repariertem Schiff in den Heimathafen einlaufen konnten. Der Kadaitcha-Mann hatte zugeschlagen!
2016 reiste die Künstlergruppe nach Papua Neuguinea. Viele Begebenheiten schon im Vorfeld der Reise, schienen das Unternehmen behindern zu wollen. Krankheiten, Verhaftungen, Teamwechsel, Katzenbisse… und am Ende… Regen, Schlamm und gestrichene Flieger ließen uns ganz automatisch die Anwesenheit des Kadaitcha-Mannes spüren.
2019 nun, scheint der Kadaitcha immer noch nicht in Rente gegangen zu sein. Isabel und Pascal können aus familiären Gründen die Expedition nach Australien nicht antreten. Sie müssen am Tag der Abreise entscheiden zu Hause zu bleiben. Nur das halbe Team reist nun durch den großen heißen Kontinent. Arta und ich haben zwar allerlei Kameraequip am Start und können Isabel als Kamerafrau so gut es geht ersetzen, dennoch fehlt uns die Kameradrohne, die Pascal mit sich geführt und geflogen hätte. Wir lassen uns per Post die Drohne nach Australien schicken. Diese kommt aber bisher nicht an. Sie scheint beim australischen Zoll steckengeblieben zu sein. Der Kadaitcha hat ganze Arbeit geleistet!
Gestern nun reisten wir nach Cravens Peak. Eine Wissenschaftsstation inmitten der einsamen heißen und trockenen Simpson Wüste. Kai und Rübe verbrachten vor elf Jahren eine Nacht auf der Station und fanden hier in der Nähe ein paar schöne rote Sanddünen, auf welchen das sehr bekannte Foto der damaligen Expedition geschossen wurde, das heute das Cover des Hörbuches „Ludwig Leichhardt – Wanderer zwischen den Welten“ aus dem Jahre 2009 ziert. Auch fanden die beiden die besagte und anfangs erwähnte heilige Stätte der Aborigines mit einer seltsamen Anordnung von Steinen und alten Steinwerkzeugen, natürlich inklusive dem ersten Kadaitcha-Fluch.
Heute hat sich die Station etwas verändert. Sie wirkt größer. Einige Bungalows sind hinzu gekommen. Alles ist restauriert. Es gibt kleine Gewächshäuser und einen Garten. Einige Schlafstätten für die Wissenschaftler und Volontärarbeiter. Duschen, eine Laundry, und eine große Gemeinschaftsküche.
Bei unserer Ankunft wirkt die Station verlassen. Wir rufen laut, klopfen an die Türen. Nichts. Wüstenstille. Dann entdecken wir Cliff. Einer der Volontärarbeiter, der uns freundlich begrüßt und uns in den Gästebungalow bringt. „Hier, macht es euch bequem. Trinkt einen Kaffee und esst etwas. Die Managerin der Station ist noch zur Arbeit im Outback, sollte aber am späten Nachmittag zurück sein.“ Wir machen uns frisch. Nehmen einen kleinen kalten Lunch ein und sind uns sicher, dass wir hier für eine Nacht bleiben können und Einlass in das private Land bekommen werden, um die heilige Aboriginesstätte zu besuchen und die Sanddünen zu sehen.
Es ist schon nach 17 Uhr, als Jane Blackwood, die Mangagerin der Station, mit ihrem staubigen Jeep den Hof befährt. Sie leiert die Fensterscheibe runter und ruft zu uns rüber. „Hi, how are you guys?“ Seltsamerweise steckt in ihrem „Hi“ und dem folgenden „How are you…“ bereits dieses „What the fuck….?“, welches uns gleich zurück auf die Piste schicken wird, um uns einen neuen Lagerplatz für die Nacht zu suchen.
Jane ist ein taffe kleine Frau um die 50. Obgleich ihr Alter schwer zu schätzen ist. Sie ist drahtig. Ihre Haut ist ledernd und brüchig, ihre Finger knochig, die Augen gerötet vom Staub und ihre Kleidung scheint vom roten Sand der Wüste steif und hart geworden zu sein. Den Job den sie hat muss man wollen, denke ich. Es wird schnell klar, dass wir weder Einlass in das private Land noch die Möglichkeit zur Übernachtung bekommen werden. Sie redet von Genehmigungen und Anträgen, die man im Vorfeld hätte stellen müssen und bittet uns sehr bestimmt jetzt zurück nach Boulia zu fahren. Wir entscheiden uns für das 170 Km entfernte Tobermorey, eine kleine Station mit Campground. Es ist klar dass wir nun in die Nacht kommen werden. In 30 min geht die Sonne unter und das Befahren des Donohue Highways wird anspruchsvoll bei Dunkelheit. Der Donohue ist eine üble Sandpiste mit Löchern und Bodenwellen. Es gibt keine Straßenbegrenzungen. Nichts was das spärliche Licht des Jeeps ausleuchten könnte. Wildwechsel und Monster-Roadtrains, die sich einen Teufel um den Gegenverkehr scheren. Der Kadaitcha hat uns diesmal ein richtiges Ei gelegt.
Wir werden mit dem Sauhund umgehen, mit ihm ein Tänzchen aufs Parkett legen.

Wir verlassen Cravens Peak. Die Sonne steht schon sehr tief, als wir das erste mal auf dieser Expedition großen Kängurus begegnen. Wir wunderten uns die Tage zuvor, dass wir weder Kamele, noch Wallabies oder Kängurus zu Gesicht bekamen. Nun aber waren sie da. Diese riesen Tiere, deren Körper etwas menschliches haben wenn sie aufrecht vor einem stehen. Schnell begreifen wir, dass der Fluch des Kadaitcha auch eine Kehrseite zu haben scheint. Pech in Cravens Peak, Glück auf der nächtlichen Piste?
Noch bevor die Sonne ganz verschwunden ist, sammeln wir Feuerholz am Wegesrand, für das Lagerfeuer in der Nacht, nach unserer Ankunft in Tobermorey.
Irgendwie rieche ich Gas. Arta bestätigt diesen seltsamen Geruch. Ist es das Holz, welches vielleicht von Tieren markiert wurde? Könnte sein. Aber der Geruch verschwindet nicht. Wir sind längst einige Kilometer weitergefahren und immer noch hängt dieser Gasgeruch im Auto. Trotzt Fahrtwind. Er scheint von draußen zu kommen.
Der Donohue Highway lässt uns nur sehr langsam vorankommen. Immer wieder springen Wallabies über die Straße. Echsen strecken ihre Köpfe auf die Fahrbahn.. Büsche und Sträucher sehen gespenstisch aus in dem schwachen Licht des Jeeps und all dem Staub, der in der Luft liegt. Als wir plötzlich in weiter Ferne, erst rechts und dann links, weit neben der Piste ein Licht wandern sehen. Es scheint als fährt ein Auto quer durch das Outback. Das Licht bewegt sich. Wir wundern uns. Wissen, dass es da keine Straßen geben kann. Auch ist dieses Licht so weit weg und bewegt sich dennoch recht schnell. Dann ist es weg und der Horizont wieder dunkel.
Um 21 Uhr erreichen wir den Campground in Tobermorey. Bauen die Zelte auf, machen ein Feuer, grillen noch die letzten Würste und sind irgendwie froh und erfüllt, jetzt hier zu sein und nicht in Cravens Peak.
Heute morgen, nach dem Frühstück und kurz vor der Abreise nach Jervois kommt eine Frau lachend auf uns zu, fragt ob sie sich zu uns setzen darf und mit uns eine Zigarette rauchen kann. Wir kommen ins Gespräch. Sie fragt nach unserer Herkunft und dem Grund unserer Reise. Natürlich weiß sie von Ludwig Leichhardt, dem Explorer zu berichten. Dann erzählt sie uns eine Geschichte, die wir bisher noch nicht kannten. Leichhardt sei mit einer samoanischen Prinzessin verheiratet gewesen. Die Ruinen ihres Wohnhauses und die Gräber der beiden könne man im Norden am Leichhardt River besuchen. Ich wundere mich und frage nochmals nach. Sie nickt und bestätigt, „… Ja Leichhardt liegt tatsächlich in diesem Grab… „. Hm…!
Wir fragen nach ihrem Namen. Arlysa. Sie trage Aborigines Blut in sich. Ihre Ur-Großmutter mütterlicherseits war Aborigines. Sie erzählt von den „Stolen Children“. Aboriginal Eltern wurden die Kinder durch den Staat weggenommen. Man behauptete, dass sie selber nicht in der Lage seien ihre Kinder groß zu ziehen. Die Kinder und Babys wurden im ganzen Land verteilt. Ihre Wurzeln gekappt. Ihre Mutter sei dem Entzug der Eltern durch den Staat nur knapp entkommen. Die 6 Geschwister der Mutter aber wurden weggebracht und sklavenähnlich in englischen Haushalten oder als billige Landarbeiter gehalten. Erst in den 50er Jahren wurden diese Maßnahmen, die es seit über 100 Jahren gab, abgeschafft.
Arlysa selber lebt noch immer den Spirit der Aborigines. Es steckt in ihr, sagt sie.
Als sie uns von dem Phänomen der Min Min Lichter erzählt, die es nur in dieser Gegend gibt, werden wir hellhörig.
Das Min Min Light, ein warmes, helles, wanderndes und rollendes Licht, welches sich in Dunkelheit am Horizont zeigt und den Menschen einen kurzen Moment begleitet. Eine Art Guide durch die Nacht. Wissenschaftler erklären sich dieses Phänomen durch sich selbst entzündete Gase die bei Nacht aus der Erde austreten und sich dann entladen.
Wir erinnern uns an den Gasgeruch, den wir in der Nacht zuvor wahrgenommen haben und an das seltsame Licht, welches uns am Horizont erschienen war und uns nicht erklärbar war.
Wurden wir etwa von einem Min Min Light begleitet? Arlysa bestätigt unsere Vermutung und freut sich für uns.
Dann wage ich die Frage nach dem Kadaitcha-Mann. Sie schüttelt sich und scheint Beklemmungen zu bekommen. „Oh, der Kadaitcha-Mann ist eine wirklich schlechte Gestalt.“ Sie könne kaum darüber sprechen. Sie beginnt ihn dennoch zu beschreiben. Eine dunkle hagere Gestalt mit roten Augen und einem Knochen in der Hand, mit welchen er auf den Menschen zeigt, den er verflucht. Zeigt der Kadaitcha-Mann einmal auf jemanden, stirbt dieser elendig.
Wow! Ich bekomme Gänsehaut. Auch sie schüttelt sich nach ihrer Beschreibung. Ich frage ob es eine Gegenfigur zum Kadaitcha gibt. Eine glücksbringende Gestalt. Sie sagt nein, das gibt es nicht. Es gibt nur das Min Min Light als guten Spirit.
Da kommt uns wieder der Gedanke aus der Nacht zuvor.
Pech in Cravens Peak, Glück auf der nächtlichen Piste?
Und ist der Kadaitcha vielleicht eine Frau?
Wir werden es jetzt nicht herausfinden…. Bessere Tänzer sind wir allemal.
Min Min… wir driften weiter durch die Simpson Wüste.
P.S. Gerade kommt die Nachricht rein, dass die Kameradrohne in Alice Springs angekommen ist und nun im Havens Backpacker Hostel auf uns wartet.
Min Min!