Langsam cruist unsere „Raphy G“ in die Scapa Flow hinein. Wir haben Stromless verlassen und wir fahren in die große Bucht, in der eine besondere Geschichte versenkt ist. Wir sind gespannt, ob das unsichtbare noch fühlbar ist. Verschiedene Karten werden heraus geholt, Fotos verglichen und deutsche Namen fallen. Kronprinz Wilhelm, Markgraf, Bayern und Friedrich der Große. Auf den Seekarten sind Umrisse verzeichnet. Lange ovale Flächen, die sich uns nähern und sich unter der ruhigen, bleiernen See befinden. Dann ist es soweit. Dietmar sagt, das ist sie, die „Dresden“. Wir befinden uns jetzt genau darüber. Der Umriss des Schattens auf dem Display unseres Navis weist eine Länge von 150m und 13m Breite auf. Es ist Seiner Majestät Schiff „Dresden“, ein Kreuzer der Kaiserlichen Marine. Schaut man in die Vitas der 71 Schiffe, die sich 1919 hier selbst versenkten, findet man wenig Ruhmreiches, viel Trauriges, manch Kurioses. Die „Dresden“ war eine Neuauflage eines gleichnamigen Kreuzers, dessen Hang zum Suizid, dem Erbauer zu denken hätte geben sollen. Das Wrack des Vorgängers liegt vor der Robinson-Crusoe-Insel im Pazifik nahe Chile. Ebenfalls selbstversenkt. Der Wahn und die Hybris der europäischen Majästeten hatte die Europäer millionenhaft zur Schlachtbank geführt. Irgendwer schrieb mal, nur der Mensch ist zum Massensuizid fähig. Der Irrsinn des Krieges kam auch nach seinem Ende noch nicht zum Stillstand. Damit die hier in Scapa Flow internierte deutsche Flotte nach dem Abschluß des Versailler Vetrages nicht in fremde Hände fällt, befahl der Gubener Konteradmiral von Reuter die Versenkung aller Schiffe. Die Briten waren überrascht, versuchten einzugreifen. Die letzten Kriegstoten liegen drüben am Ufer von Hoy begraben.
SMS Dresden im Nord-Ostsee-Kanal
Unser Kapitän ist auch in Guben geboren, doch er hat einen anderen Plan. Käptn Kney läßt die Maschine stoppen und die Flagge dippen. Eine seemännische Ehrerbietung gegenüber allen gefallenen Matrosen aller Länder. Symbolisch läßt er den Anker ein paar Meter ins Wasser. Da unten liegen keine Toten, ich weiß das. Doch etwas Gänsehaut kommt auf, wenn ich bedenke, dass des Kaisers liebstes Spielzeug, die deutsche Hochseeflotte hier unter unserm Kiel vermodert. Als er sich bewarb beim Big Game, einen Platz am Tisch der Großen zu erzwingen, brauchte auch er handfeste Argumente. Wie Roosevelt einmal sagte: „Bei diplomatischen Verhandlungen sprich leise, aber bring einen großen Knüppel mit“. Man ließ den Kaiser ein, etwas verspätet, gab ihm noch ein paar Krümel vom kolonialen Gabentisch, um die sich bisher keiner geschert hatte. Deutsch-Ost, Deutsch-Südwest und Neuguinea. Den großen Mächten kam es schon zu den Ohren raus und Gier ist ein zweifelhafter Berater für gesunde Ernährung. Die Verdauung der Welt lief auf Hochtouren und die Leber kam nicht mehr hinterher. Ein amerikanischer General sagte mal, wenn du einen großen Hammer hast, mußt du dafür sorgen, dass dein Problem wie ein Nagel aussieht. „All in“ hieß 1914 das Gebot und spätere Historiker werden von einem dreißigjährigen Krieg sprechen.
Zwei Paradigmen folgten für die Deutschen daraus. Das Nationale war uns nun verbeten. Es ist noch nicht zum Einsturz gekommen, doch erste Risse zeichnen sich ab. Ich hoffe, was auch immer man mit deutsch benennt, das man damit das kulturelle meint, von mir aus Fußball. Der Rest liegt zurecht kielachtern. Das zweite Paradigma „Nie wieder Krieg von deutschem Boden“ hat ausgerechnet ein Grüner in Turnschuhen zertrümmert. Seit dem Waffengang im Kosovo ist wieder einiges möglich für deutsche Soldaten. Dass wir das erlauben, beschämt mich, hier in Scapa Flow. Der Mensch kann einfach nicht widerstehen, kann nicht Nein sagen, wenn das Establishment seine Beutegänge. Suizid is allright, denke ich. Scapa No. Auf-Nimmer- Wiedersehen. Wir reisen weiter nach Wick und erreichen die starke Dünung eines bereits ausgelaufenen Nordseesturms.