In der letzten Nacht bricht ein Wolkenbruch los. Große Tropfen, große Freude. Drei nakte Mzugus nehmen Anlauf und stürmen lautstark in den Pool. Da wir in einem muslimischen Hotel sind, ist Nacktheit und Alkoholkonsum unerwünscht. Trotz oder gerade wegen der Anwesenheit Georgs, der nicht nur Fachberater, sondern nebenberuflich auch Anwalt ist, betrachten wir sowohl geschriebene als auch ungeschriebene Gesetze als Empfehlung und nicht als Dogma. Alles in allem geht unser Kollektiv sehr vernünftig, zurückhaltend und völkerverständigend vor.
Am Morgen treffen wir Fiel von Nukleo Arte. Wir rasen mit unserem Toyota-Bus zum Haus der Minenräumorganisation. Warten. Nach etwa 30 Minuten frage ich, worauf eigentlich? Auf den Mann von der Regierung, antwortet Fiel. Der Mann von der Regierung erscheint tatsächlich und wühlt eine Makarov aus einem Putzlappen. Fiel betrachtet das Teil fachmännisch und beginnt mit der künstlerischen Umgestaltung der Waffe. Die Flex fräst sich durch den Lauf. Der Handgriff fällt zu Boden. Fiel flext und schweißt. Hämmert auf der Makarov herum. Ich drehe den Vorgang mit meiner Kamera. Im Sucherbild erlebe ich, wie unter Fiels Händen ein Vogel entsteht – eine Art Hahn. Der Handgriff wird zum Schwanz, der Abzug zum Schnabel, der Lauf zum Körper. Zwei Drähte unten dran und schon steht der Vogel sicher auf seinen spitzen Krallen. Faszination. Fiel ist ein echt cooler Typ, befinden wir gemeinschaftlich. Der Rastafari strahlt für die Verhältnisse Maputos eine ungewöhnliche Ruhe aus. Doch zuvorderst schafft Fiel beeindruckende Kunst. Ich kaufe das Werk. Auf der anschließenden Überfahrt zum Goetheinstitut frage ich Georg, ob der Hahn noch eine Waffe ist. Georg verneint. Trotzdem werde ich beim Rückflug die Skulptur nicht mit ins Handgepäck nehmen.
Im Goetheinstitut singen Regina und Lydia einen Song, der Deutschland, die DDR und deren Wohnheime lobt und „Mad Germanos“ „Scheiße“ findet. Regina erläutert ihre Haltung. Man sollte nicht ständig in die Vergangenheit schauen, sondern vorallem in die Zukunft. Außerdem präferiert sie Dankbarkeit gegenüber Samora Machel. Ich wünsche mir für das Kamerabild einen weiteren Durchlauf des Songs. Die Gitarrenbegleitung setzt ein und rumpelt sich in den Rhythmus. Später werden Kai und ich die Frage nicht beantworten, ob die beiden Gittaristen ein gewollt schmutziges Brett spielen oder sich verspielen. Kai meint, dass sie sich gar nicht verhielten wie Musiker, die sich verspielen und sich nach dem Gewahrwerden des Fehlers ungelenk in den Rhythmus zurück haspeln. Er vermutet, dass rhythmisches Holpern hier zum Konzept gehört. Ich gehe nicht soweit. Ein Musikdiskurs ohne klare Erkenntnis.
Unser Drehtag ist heute sehr voll gepackt. Der nächste Termin drückt. Und wir müssen wieder mal in einen Vorort. Traffic Jam. Die abendliche Verkehrsmarmelade auf den Ausfallstraßen Maputos besteht aus Staub, verbrannten und unverbrannten Abgasen, jeder Menge Lärm (wobei die Hupe die erste Geige spielt), Menschen, die sich quer zur Fahrtrichtung durch die Blechlawine pressen und vorallem Stillstand. Das kann unser Fahrer Jorge nicht ertragen. Er fährt heute eine besonders flotte Biene. Selbstbewusst peitscht er bei erster bester Gelegenheit mit überhöhter Geschwindigkeit in einen Slum. Ein staubiger Weg – gerade breit genug für unseren Toyota-Bus. Augenmaß und infrastrukturelle Experimentierfreude sind gefragt. Links und rechts sitzen Menschen im Staub und offerieren Obst. Jorge hat keinen Vitaminbedarf. Ich mittlerweile schon, denn Jorge rast auf einen Bus zu, der seinerseits auch nicht bremst. Nun stehen sich die geschundenen Blechkisten gegenüber und schnaufen sich kurz an. Eine Lösung ist schnell gefunden. Hupen und langsames Bedrängen der Obsthändler. Diese stehen selbstverständlich auf und retten ihre Ware. Dann rollen Bus und unser Toyota über das Territorium der ehemalige Obstläden. Nach dem Zeitverlust dieses Manövers erhöht Jorge die Geschwindigkeit. Wir kommen tatsächlich ohne nennenswerte Schäden an.
Ich mag Jorge, weil er herzlich lachen kann und mir als seinen Beifahrer gern lautstark und unvermittelt einen Gedanken präsentiert. Z. B. diesen. Ich döse im Bus. Kai hingegen döst noch in der Kiste. Morgendliches hitzefrei. Doch er ist ein wichtiger Passagier der Toyota-Bus-Besatzung und Jorge hadert mit Kais Abwesenheit. Die dezimierte Gruppe hat er noch nicht erlebt. Auf der Fahrt zur Makarov zupft mir Jorge plötzlich heftig am Hemd: „Kai is the son of Adam! The brother of Abel!“ Ich schrecke hoch. Mehrfache Wiederholungen. „Kai is the son of Adam! The brother of Abel!“ Erst nicht und dann doch verstehe ich Jorges Aufregung. Jorge packt Kai einfach ins alte Testament. Etwas strange der Gedanke, Kai in der Bibel. Jorges Augen verraten, dass er nun Kais Abwesenheit versteht. Ein besonderer Mensch braucht einfach gelegentlich Ruhe. Jorge hat seine innere Mitte wieder gefunden. Wir lachen gemeinsam bis zum Minenräumhaus.