Mindik vierter Tag. Der Frühstücksruf dringt zu mir durch Modder und Moskitonetz. Die schmutzige Haut in schmutzige Kleidung gehüllt, dann den kleinen Schlammhang hinaufgeschlingert und die verschlafenen und zerknitterten Freunde begrüßt. Es gibt geröstete Erdnüsse, Kochbanane und Ananas. Unsere Nässe verdampft und die Fragen nach dem Tag bleiben unbeantwortet. Eine halbe Stunde später ein Lichtschimmer im bleiernen Grau des veregneten Nebelhimmels. Unsere kleine Bergrippe, noch umhüllt von einer Wolke, erwacht unter unseren ungläubigen Blicken. Nach 72 Stunden Dauerregen bricht ein Sonnenstrahl sich seine erste Bahn. Unser Mikrokosmos jubelt nach dem Dauerwaschgang. Und dann scheint sie, die Sonne und wärmt Halm und Erde, trocknet Sachen, Seele und Equipment in Windeseile. Die Temperatur steigt unverzüglich von 14 auf 26 Grad. Endlich Gelegenheit die Hütten zu verlassen. Wir interviewen Gais und die Mindiker Ältesten. Die Missionare Kayßer und Jacobsen genießen auch hier die allerhöchste Verehrung. Sie haben den Frieden gebracht in die rural areas, wo noch vor 140 Jahren Kannibalismus an der Tagesordnung war. Dauerhafte Fehden um Boden, Frauen und Proteine. Wir verstehen immer mehr, warum wir hier so fürsorglich empfangen und behandelt werden. Wir sind Abgesandte aus dem Heiligen Land. Lutherland = Mutterland. Immer wieder Beteurungen, dass wir Brüder und Schwestern sind. Langsam wird uns auch klar, dass Detzner nicht die geringste Chance gehabt hätte, ohne das Werk der Missionare. Die Kotte, Hube und Burrum waren Ihren frohen Botschaftern verpflichtet und sind es noch. Das wird auch für unsere Arbeit wichtig werden. Als gottverdammter Heide bin ich verblüfft, dass mich zunehmend Achtung beschleicht, vor den Taten lang belächelter Kuttenträger. Ick komm schließlich vonne DDR und mit Kirche kannste mir mal. Dachte ich. Nun tun sich hier neue Gedanken auf. Man führe den Ketzer nur einmal ans Ende der Welt und lass ihn das wohltätige Werk von Kayßer und Flier bestaunen.
Erste dunkle Wolken kehren zurück ins Tal. Neuer Nebel zieht auf und wir werden zu einem sacred place geführt, am gegenüber liegenden Hang. Dort oben stehen die leeren Häuser der Missionare Jacobsen und Gerber. Uns begleiten zwanzig Mitglieder der Community. Wie in einer kleinen und andächtigen Prozession gehen wir auf den höchsten Punkt von Mindik. Ausgewachsene, große Nadelbäume stehen im nebeligen Spalier.

Plötzlich die Anmutung von Thüringen, ein Wurmloch in die Heimat. Die Bäume wurden von den Missionaren auf den gerodeten Urwaldhügel gepflanzt und ein Stück Deutschland in den Dschungel gezirkelt. Die beiden Bungalows im Bauhausstil wirken lange schon verlassen. Doch der Rasen wird hier immer noch kurz gehalten. Unsere Begleiter werden stiller. Gais sagt, auf meine Frage, wie er sich fühlt, dass ihn Stille und Traurigkeit umfassen, wenn er hier ist. Die letzten beiden Missionare der 60er und 70er Jahre haben soviel Gutes gebracht. Den airstrip, die Gartenkultur, die vielen freien Flächen, das kleine Hospital. Sie vermissen ihre Anwesenheit und halten die Häuser in Ehren. Die Häuser werden nicht betreten und die Hoffnung umweht sie, dass einst ein neuer Missionar kommen wird. Wie einst Kayßer, der Salz mitbrachte, als Zeichen seiner Friedfertigkeit. Wir gehen wieder zurück und wir wissen, dass wir gerade einen besonderen Ort besucht haben. Einen Ort der Kraft, im indigenen Sinne.
Der nasse, kalte Nebel ist zurück. Es beginnt zu regnen. Die Temperatur sinkt auf 13 Grad. Wir krauchen in die Feuerhütte, kauen nachdenklich unseren Reispamps. Gehen wir morgen tatsächlich nach Awengu? Der Huf kratzt schon lange, doch wollen wir klug sein und das Wetterfenster genau studieren, bevor wir uns hinausstürzen. Entscheidung morgen früh.

2 Kommentare zu „Nebel, Sonne, Jesus Christus.“
Gestern angeklickter Blog ergab nur die „ERROR…“ – Meldung. Um so erfreulicher, heute wieder etwas von der
Expedition zu hören und zu sehen. Ist vergleichsweise wie bei euch: Regen, Regen, Nebel, Nebel und dann Sonne! Wir sind begeistert von euren Beiträgen und wie ihr Schwierigkeiten überwindet, – mit tollen Einfällen, großen Anstrengungen und dem nötigen Humor. Weiterhin viele neue Eindrücke und Erlebnisse unter bestmöglichen Bedingungen! Wir werden euch weiterhin gerne „verfolgen“. Gruß auch an Sohn Steffen.
Bleibt klug und vertraut den Hinweisen der Menschen, die sich mit ihrem Wetter auskennen. Gott, nun gut, vielleicht kann er auch helfen, der Deutsche Wetterdienst gewiss nicht. Bei meiner ersten Reise nach Westpapua regnete es auch oft, aber offensichtlich nicht so oft. Wenn ihr irgendwann einmal an Höhe gewinnt und über die Wolken kommt, entspannt sich die Lage vielleicht. Das Hochland ist nicht das Wohnzimmer der Wolke. Klingt nach einem alten Thüringer Sprichwort, habe ich aber gerade für euch erfunden. Also grüßt mir die Heimat, denn auch ich empfand damals den Vegetationslook sehr thüringisch. Das beruhigte irgendwie meine aufgewühlte Seele, obwohl mir der Begriff Heimat eigentlich sehr fern ist.
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