Die wilde Freiheit
Eine Expedition der Künstlergruppe Mangan25
Das Königreich Paradies
Ein deutscher Utopist bei den Cherokees
Alternativlos nennt der Neoliberalismus seine globalen Ausformungen der spätkapitalistischen Gesellschaft. Die westlichen Demokratien hängen hochverschuldet am Gängelband der Hochfinanz. Die Parlamente repräsentieren nur noch wenig glaubwürdig die ehrbaren Grundsätze, demnach das Volk der Souverän sei und von ihm alle Macht ausginge. Das Vertrauen in die Gesellschaftsform, in der wir leben, steht unter Beschuss der nationalen Heilsversprecher. Ihr Angriff auf die Demokratie lässt nur deren komplettes Ende befürchten.
„Wann begann, was jetzt ist?“
Heiner Müller
Kehren wir zurück. Zur Wiege der Demokratie. Die Vereinigten Staaten von Amerika errichten als erstes Land eine demokratische Gesellschaft mit Parlament und Gewaltenteilung. Die Gründerväter vollzogen die Ideen der europäischen Utopisten. Aber sie ließen sich auch von ihren ungeliebten Nachbarn inspirieren. Den Indianern. Noch waren sie Nachbarn. Die Cherokee praktizierten ein basisdemokratisches Stammesmodell, ein Modell, das Jefferson im Vorfeld der amerikanischen Verfassungsbildung genau studiert hatte.
Unter den Cherokees weilte eine Zeit lang auch ein Deutscher. Christian Gottlob Prieber. Der Zittauer Jurist und frühe Utopist musste Sachsen 1735 fluchtartig verlassen und wanderte in die englische Kolonie South Carolina in Nordamerika aus. Dort verkaufte er seinen sämtlichen Besitz und ging zu den Cherokee und wurde einer der ihren. Er heiratete die Tochter des Häuptling Moytoy und wurde dessen erster Berater.
Er wird alsbald von den Engländern gesucht, denn seine Pläne bleiben utopisch. Prieber ersinnt das „Königreich Paradies“, ein freies Territorium für Indianer jedweden Stammes, für entflohene Sklaven, sowie für geflüchtete und verarmte Europäer. Auch setzt er die Cherokees in Kenntnis der wirklichen Absichten der weißen Siedlerkolonisten. Den Engländern ein Dorn im Auge, gelingt es diesen schließlich doch ihn festzusetzen. In der Haft in Ford Frederica verstirbt er und seine gesammelten Schriften gehen ebenda verloren.
Für die Cherokee sollten sich viele Warnungen Priebers auf bittere Weise einlösen. Vom einstmals größten idigenen Stamm überlebten den Trail of tears und das spätere Reservat nur ein Bruchteil der Cherokee.
„Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen wurden.“
Thomas Jefferson
Wir haben keine freien Territorien mehr, wo wir die Verwirklichung einer gerechteren Idee einer neuen Gesellschaft probieren könnten. Wir müßten schon zum Mars fliegen. Des Utopisten Raumschiff ist nach wievor sein Denken. Priebers Königreich Paradies muss keine Utopie bleiben.

Die wilde Freiheit
„Mein Lebenslauf war ziemlich wechselvoll;
ich habe als Wilder und als zivilisierter Mann gelebt
und während ich meine alten indianischen Freunde immer noch liebe,
haben die kultivierenden Einflüsse der Zivilisation eine große Veränderung in mir bewirkt.“
Hermann Lehmann
Europäische Grenzgänger
Der Prozess der Kolonisierung Nordamerikas begann im 16. Jahrhundert und dauerte über dreihundert Jahre. Es waren dies sehr wechselhafte Zeiten. Die weißen Neusiedler aus Europa traten den amerikanischen Ureinwohnern nicht nur in kriegerischer Absicht entgegen. Es gab lange friedliche Phasen mit Handel und auch intellektuellem Ausstausch. Die Frontier, die sich immer weiter nach Westen schiebende Grenze zwischen Siedlern und Indianern war auch eine kulturelle Membran, ein Schlupfloch in eine andere Zeit, eine andere Zivilisation. So gab es nicht nur Trapper und Pelzhändler, die temporär bei den Indianern lebten, sondern auch Grenzgänger, die ganz die Seite wechselten. Sogenannte Waldläufer, Squaw-Men oder White Indians entschieden sich zur Abkehr von der weißen Zivilisation und lebten dauerhaft als Indianer.
Sie hatten die unterschiedlichsten Motive. Oft flohen sie religiösen, politischen oder auch ökonomischen Zwängen. Sie bevorzugten das freizügige, weniger strukturierte, ja auch klassenlose Leben der Sauvages, der wilden Indianer und waren bereit, dafür vieles zurückzulassen. Besitz, Stand und Glaube. Doch auch in umgekehrter Richtung berührten sich die Kulturen. Thomas Jefferson zum Beispiel studierte ausführlich die basisdemokratischen Stammesstrukturen der Cherokee und anderer sesshafter Indianer. Seine Erkenntnisse daraus finden sich in der amerikanischen Verfassung wieder.
Als die Frontier sich erbarmungslos immer tiefer nach Westen verschob, stieß sie auf die Jägerkulturen der Plains-Indianer. Die kriegerischen Auseinandersetzungen, die schließlich in einem Völkermord enden sollten, stellten viele Stämme der großen Prärien vor immer neue Schwierigkeiten. Die Comanchen und die Apachen glichen ihre größer werdenen Verluste mit einem speziellen Vorgehen aus. Sie raubten weiße Siedlerkinder und erzogen sie zu Indianern.
Hermann Lehmann
1874. Ein Canyon in New Mexico. Der 15 jährige Apache En-Dah lebt hier seit beinahe einem Jahr allein. Er geht zur Jagd und der Fluß im Canyon führt viele Fische. Auf einem seiner Streifzüge bemerkt er auf einer Hügelkette berittene Indianer. Er erkennt, dass es sich um verfeindete Lipan – Apachen handelt. Sie reiten zum Eingang seines Canyons. En-Dah weiß, dass er sich eine neue Heimat wird suchen müssen. Wieder einmal. Denn wenn sie ihn finden, erwartet ihn der Tod. En-Dah begibt sich auf Wanderschaft in das Gebiet der Comanchen. Als er ihr erstes Lager erreicht, wird er von ihnen gefangen genommen. Er erzählt die Geschichte seines jungen Lebens und diese findet ihren Glauben. Sie können es mit eigenen Augen erkennen. Er ist kein geborener Apache. En-Dah bedeutet weißer Junge und sein wahrer Name ist Hermann Lehmann.
Vier Jahre zuvor. Frederiksburg, Texas. In der kleinen Stadt wohnen fast ausschließlich deutsche Auswanderer. Das Leben an der Frontier ist ungewöhnlich friedlich. Die Bewohner hatten 1847 einen bis heute nie gebrochenen Friedensvertrag mit den in der Nähe lebenden Comanchen geschlossen.
Doch auch Apachen kommen auf ihren Jagdzügen zuweilen auf das Edwards Plateau. An einem sonnigen Maitag spielt der elfjährige Hermann Lehmann mit seinen Geschwistern in einem Weizenfeld. Plötzlich werden die Kinder von einer Gruppe Apachen-Krieger überrascht. Sie entführen Hermann. Die Mescalero-Apachen unterziehen ihn qualvoller Initiationsrituale. Dann nehmen sie ihn bei sich auf. Der Apache Carnoviste adoptiert ihn und aus Hermann Lehmann wird En-Dah, White Boy. Er lernt jagen und fischen, Wasser zu finden und Spuren zu lesen. Er beginnt seine hessische Familie zu vergessen. Als er vierzehn Jahre alt ist, wird Carnoviste bei einem Kampf mit Lipan-Apachen getötet. En-Dah rächt ihn und tötet den Mörder. Weitere Blutrache droht. Er flieht in den Canyon, den er dann ein Jahr später, Richtung Comanchen verlassen wird.
Auch bei den Comanchen erhält er nun einen neuen Namen: Montechema. Er zeichnet sich durch Tapferkeit und Mut aus. Hermann wird zu einem Häuptling der Kwahadi-Comanchen. Die Kwahadi sind Nomaden und sie durchstreifen weite Gebiete in New Mexico und Texas. Doch sie haben einen unerbittlichen Gegner. Die Texas-Ranger rotten große Büffelherden aus, um den letzten freien Indianern die Nahrungsgrundlage zu nehmen und sie in Reservate zu zwingen.
Immer wieder gerät Hermann Montechema in Kämpfe mit den Texasrangern. Im Jahre 1875 kommt es zur finalen Schlacht zwischen den Comanchen und den Truppen des Indianerschlächters Mackenzie. Die Comanchen unterliegen der Übermacht im Palo Duro Canyon. Als letzter freier Indianerstamm müssen sie in ein Reservat nach Oklahoma. Die Zeit des Hungers und Elends beginnt. Hermann Montechema ist unter ihnen.
Im Reservat erkennt ein amerikanischer Offizier, dass er ein Weißer ist und schickt ihn in seine alte Heimat zurück. Es wird ein schwerer Gang. Seine Mutter erkennt er nicht, noch erkennt sie ihn. Das Leben in der Zivilisation ist Hermann Montechema fremd. Er trinkt. Es kommt zu Exzessen. Immer wieder sieht man ihn in Indianertracht im Freien umherziehen. Die christliche Gemeinde verstößt ihn. Er besucht das Reservat seines Stammes in Oklahama. Doch er darf nicht bleiben. Er wird Fuhrunternehmer, später Ackerbauer und stirbt 1932 im Alter von 72 Jahren.
Es hatte sich für Hermann Lehmann entschieden. Erst durch Zwang, später wählte er ganz bewußt. Ein Leben in der Wildniss, als Krieger und Nomade. Seine Erlebnisse fallen in die Zeit des Völkermords an den Indianern, dem gnadenlosen Voranschreiten von Zivilisation und gesellschaftlichem Fortschritt. Die Bruchlinie zwischen Moderne und Stammesgesellschaft geht durch den Protagonisten. Das Internieren und Auflösen des Gentilen ist schließlich ein Auslöschen von Wissen. Hermann Montechuma war eingeweiht in Mescall und Geistertanz. Hermann Lehmann betrank sich viele Jahre, um zu vergessen. Zu Gott fand er nicht mehr. Seine Geschichte erzählt auch das Verschwinden der letzten „wilden“ Lebensräume auf der Welt.
Cynthia Parker & Quannah Parker
Hermann Lehmann hatte bei den Comanchen einen einflußreichen Freund und Förderer. Der legendäre Häuptling Quannah Parker war selbst ein Halbblut. Seine Mutter Cynthia wurde gleich Hermann Lehmann bei einem raid der Comanchen entführt und in den Stamm integriert.
Auch sie wurde eine Comanche aus Überzeugung. Als sie 24 Jahre später von Texas-Rangern befreit wurde, kehrte sie unter Zwang zu ihrer weißen Familie zurück. Mehrfach versuchte sie vergeblich zu ihrer indianischen Familie zurückzukehren. Ihre Fluchten schlugen jedesmal fehl. Sie sollte ihren berühmten Sohn Quannah Parker nie wieder sehen. Dieser führte in der Freiheit noch die letzten Gefechte der Comanchen. Doch auch sein Weg endete im Reservat in Oklahoma. Dort sollte er zu einem angesehenen Verfechter der indianischen Belange werden. Als Richter und Sherriff versuchte er den schwierigen Übergang der American Natives in die amerikanische Moderne zu ebenen. Theodore Roosvelt nannte ihn seinen Freund.
Die Expedition
Die Künstlergruppe begibt sich auf die Spuren Christian Priebers und Hermann Lehmanns. Dabei sollten die Künstler verschiedenen Fragen auf den Grund gehen.
Warum bevorzugte er nach seinem Weggang bei den Apachen ein Leben bei den Comanchen? Er hätte ja auch zu seiner weißen Familie zurückkehren können. Welche Werte und Umstände ließen ihn sich für ein dauerhaftes Leben als Indianer entscheiden?
Was haben wir verloren oder was fehlt uns, dass ein so archaisches wie auch hartes Leben reizvoll erscheint? Die romantischen Bilder vom edlen Wilden, von tribaler Gerechtigkeit und naturverbundenem Leben haben in ihrer Überhöhung sicher ihren Ursprung in unserer uns selbst entfremdeten Lebensweise in unseren Megacitys, unserem Highspeed und unserer Unfähigkeit trotz unseres Wissens keine nachhaltigen Lösungen für die großen Probleme der Welt zu finden.
Materialien
Mangan25 reist durch Texas, New-Mexico, South Carolina, Tennessie und Oklahoma, um die heutigen Cherokees und Comanchen zu treffen und den Geschichten nachzuspüren. Sie versprechen nicht nur interressante, abenteuerliche Biografien. Auf dieser Expedition geht es vorallem um Austausch und Überschichtung von Kulturen und um gesellschaftliche Utopien. Eine andere, eine neue Gesellschaftsordnung muss wieder denkbar sein.
Es existieren bereits Kontakte zum Comanche National Museum und den heutigen Vertretern des Stammes. Vor Ort in Lawson, Oklahoma werden Begegnungen mit ihnen für das Projekt sehr aufschlußreich sein.
In Fredericksburg hingegen wohnt Wayne Lehmann, der Enkel von Hermann Lehmann. Letzterer hat uns auch ein Buch hinterlassen. „Nine years among the indians“.
Desweiteren gibt zahlreiche Literatur über die Auseinandersetzungen der Texas Rangers mit den Comanchen wie z.B. „Sechs Jahre bei den Texas Rangern“ von James B. Gillet. In dem Buch beschreibt er auch eine Begegnung mit Hermann, dem Comanchen.
„Es kam jedoch ein junger Krieger zu mir und begann in der Zunge der Apachen mit mir zu reden und ich erklärte ihm, ich sei ein Apache, der aufgrund zwingender Umstände aus dem Stamm verbannt worden sei; dass ich einen Medizinmann getötet hatte, den Mörder meines Häuptlings und Meisters; dass ich von Geburt ein weißer Mann sei, aber ein adoptierter Indianer; dass ich den Indianer liebte und den weißen Mann hasste…“ Hermann Lehmann
Die Künstler von Mangan25 begeben sich vom 9. September bis 6. Oktober 2018 auf Spurensuche durch Texas, New-Mexico, South Carolina, Tennessie und Oklahoma. Sie haben die Möglichkeit den Expeditionsalltag LIVE mitzuerleben. Täglich wird hier mit Tagebuchaufzeichnungen, Fotos und Videomaterial über den Verlauf der Reise berichtet.
Expeditionsteilnehmer
- Kai-Uwe Kohlschmidt – Autor/Regisseur/Komponist
- Arta Adler – Ärztin/Schauspielerin
- Peter Adler – Maler
- Momo Kohlschmidt – Schauspielerin/Sängerin