Mangan gefunden! Samora Machel und die Hermeneutik des Reisens

Heute Morgen reflektiere ich (ja, genau: in meinem Café) über den Sinn des Reisens, des Lebens und des Universums. Da ich die Antwort auf die letzten beiden Fragen natürlich bereits kenne (nämlich 42), kreisen meine Gedanken bald ums Reisen. Ich bin nicht wenig herumgekommen, bin durch viele Länder gehetzt, immer in Erwartung des nächsten Eindrucks.

Mangan gefunden.
Mangan gefunden.Die Unruhe, die Angst, etwas zu verpassen oder gar zu übersehen, hat mich durch die Welt getrieben. Das Reisen hat mich sehr geprägt, gebildet und entspannt.

Schnitt.* Viele Jahre zurück.

Ich sitze am Steuer des Minibus, den uns Calvin aus Malelane in Südafrika nach langem Bitten überlassen hat, und wir flitzen über staubige Pisten im Grenzgebiet zwischen Swaziland, Mosambik und Südafrika. Neben mir mein bester Freund Micha, hinter uns die Frauen und Kinder (je 1+3). Die Stimmung ist schlecht, weil ich meinen Kopf überhaupt oder jedenfalls zu wenig subtil durchgesetzt habe, nämlich dass wir heute nach der Absturzstelle von Samora Machel fahnden. Keiner glaubt, dass wir in den Lebombo-Bergen noch etwas finden, oder dass das, was wir finden, interessant sein könnte. Staubig, klebrig heiß ist es: „Pool wäre viel besser gewesen.“ Nur meine Frau hält zu mir.

Schnitt

Samora Machel, der erste Präsident Mosambiks, war 1986 (auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs) beim Landeanflug der Präsidentenmaschine auf Maputo über südafrikanischem Gebiet abgestürzt – CIF, controlled flight into terrain, also ohne technischen Defekt in den Berg geflogen. Bis heute ist die Ursache nicht geklärt, aber eine Theorie besagt, dass ein Funkfeuer (VOR) manipuliert wurde, um das Flugzeug gegen einen Hügel zu lenken. Heute vermutet man ein Zusammenspiel von russischem und südafrikanischem Geheimdienst bei diesem Unterfangen. Meine Theorie, dass die russischen Piloten schon am Trinken waren, hat sich in der Literatur bislang nicht durchgesetzt. Es überlebten neun Passagiere auf den hinteren Plätzen. Der Präsident saß natürlich vorn.

Schwenk* (hihi)

Nach zwei Stunden Irrfahrt kommen wir an einen Kontrollposten. Ich sehe meine Felle davonschwimmen, aber der O-Ton* aus dem hinteren Bereich des Autos: „Habe ich doch gleich gesagt.“ weckt meinen Ehrgeiz und mobilisiert alle Energie. Eine flammende Rede über internationale Solidarität und meine Bewunderung für den großen Anführer der Frelimo, sein politisches Testament und die unverbrüchliche Bande der Freundschaft zwischen ANC und Frelimo, die Zukunft Afrikas usw. öffnen die Schranke.

Schwenk

In der Mittagshitze folgt ein zackiger Bergaufmarsch in die gewiesene Richtung. Nicht sicher, ob die Richtung stimmt, denn die genannten Richtungen widersprechen sich. Ich summe die Hymne aller weißen Afrikareisenden und ignoriere die aufkeimende Meuterei:

Mad dogs and Englishmen go out in the midday sun,
The Japanese don’t care to, the Chinese wouldn’t dare to,
Hindus and Argentines sleep firmly from twelve to one
But Englishmen detest-a siesta.
In the Philippines they have lovely screens to protect you from the glare.
In the Malay States, there are hats like plates which the Britishers won’t wear.
At twelve noon the natives swoon and no further work is done,
But mad dogs and Englishmen go out in the midday sun.

Pool wäre besser gewesen, das leuchtet mir jetzt auch ein. Eine Stunde später finden wir aber allen Unkenrufen zum Trotz die Absturzstelle tatsächlich und dort auch die verrosteten Triebwerke und Teile der Aussenhaut der Tu-134 ca. 200m von der mosambikanischen Grenze entfernt. Die Leute an der Absturzstelle sehen uns verwundert an und berichten uns, wie einige Jahre vorher das Flugzeug nachts auf das Feld gestürzt war und wie sie die wenigen Überlebenden in ihre Hütten mitgenommen hatten, ehe die Hilfe aus Südafrika eintraf.

Die Reste der Präsidenten-Tu-134 vor einigen Jahren.
Die Reste der Präsidenten-Tu-134 vor einigen Jahren.

Inzwischen gibt es dort übrigens eine richtige Gedenkstätte, die 2006 noch einmal erweitert wurde, denn durch das Ende der Apartheid konnte man nun auch in Südafrika dieses Ereignis gedenken, nicht zuletzt, weil Nelson Mandela zwischenzeitlich Samora Machels Witwe geheiratet hatte.

Interessanterweise ist die Suche nach Samora Machels Flugzeug die am meisten erzählte Geschichte dieser Reise geworden. Samora Machel ist im Kreis der Zeitzeugen* auch zum Sinnbild für meine Starrköpfigkeit geworden, aber niemand stellt in Frage, dass die Suche nach dem Wrack eine wichtige, die ganze Reise definierende Geschichte war. Bei weiterem Nachdenken fielen mir viele weitere Geschichten ein, bei denen die selbst gesetzte Aufgabe das Reisen zum besonderen Erlebnis machte. Es fallen mir in Afrika die Reisen zum Schädel des Mkwawa ein (den dieser 1898 beim Wahehe-Aufstand verloren hatte und der im Versailler Vertrag einen eigenen Absatz bekommen hat**), zum Wrack der 1914 in der Rufiji-Mündung versenkten SMS Königsberg (nachdem diese die englische Flotte vor Sansibar angegriffen und die HMS Pegasus versenkt hatte), die Suche nach dem auf dem Mount Kenya verlaufenen und dann auf dem Gletscher erfrorenen und bestens konservierten Elefanten (Icy Mike) oder die Spurensuche in der deutschen Sommerfrische Wilhelmsthal (heute Lushoto) im Usambara-Gebirge (nebst Pflücken der gleichnamigen Veilchen) oder vor einigen Jahren, in Mosambik, die Spurensuche im von der DDR geförderten Kohlebergwerk von Moatize.

Im Nachhinein und im Zwiegespräch mit den Mangan-Komparsen wird die wissenschaftlich korrekte Einordnung solcher Reisen leicht, und ich bin für weitere Aufgaben gewappnet … Ich bin froh.

* Eine Sprache aus der mir fremden Welt von Film und Ton, die ich auf dieser Reise begierig aufsauge.
** „ARTICLE 246. Within six months from the coming into force of the present Treaty, … Germany will hand over to His Britannic Majesty’s Government the skull of the Sultan Mkwawa which was removed from the Protectorate of German East Africa and taken to Germany.“

Die Expedition

Expeditionsblog

Expeditionsteilnehmer

Kai-Uwe Kohlschmidt (Autor/Komponist)

Tom Franke
(Regisseur)

Georg Linde
(Afrikawissenschaftler)

Lutz Rentner
(Autor)

Das Expeditionsziel

Die Künstler von Mangan25 begaben sich im März 2015 auf Spurensuche nach Mosambik. Sie sprachen mit ehemaligen Vertragsarbeitern, suchten die Vereinigung „Mad Germanos“ auf, die bis heute für nicht gezahlten Löhne aus DDR-Zeiten auf der Straße streiten und erlebten so eine besondere DDR-Community im fernen Maputo.

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