Als wir letzten Samstag Morgen Mindik verließen, um in Richtung Kabwum via den Grasslands zu laufen, sah man eine Künstlergruppe von 8 Leuten, wohlgenährt, ausgeschlafen, voller Vorfreude, gut bekleidet und ausgestattet, noch an jeder Ecke Fotos machend, die Arme zum Abschied in den Himmel gehoben dankend winken, im Gefolge 18 Niuginis mit größerem Gepäck und unseren zwei Guides Gais und Gaity die erste Straße das Dorf talabwärts verlassen. Es wurde gerufen, gejodelt, gelacht und auf der Seite der im Dorf gebliebenen geweint. Sie wollten uns nicht gehen lassen, waren in Sorge und schon jetzt in Sehnsucht nach uns.



Unser Tagesziel Awengu. Schon mit dem Erreichen des ersten auf dem Weg gelegenen Dorfes stellten sich unweigerlich die ersten Fragen und suchten nach Antworten. Irgendwie stimmten die Kilometerangaben von Google Earth nicht mit der Realität überein. Die Beschaffenheit des Weges war zu diesem Zeitpunkt noch ganz ok. Aber die warnende Ansage der Einheimischen ließ nicht auf sich warten. „Hier haben wir noch einen guten Weg. Ab dem nächsten Dorf wird der Weg sehr, sehr schlecht.“ Wir hatten keine Vorstellung von ihrem „sehr, sehr schlecht“. Wir übersetzten es in unsere Maßstäbe eines sehr, sehr schlechten Weges. „Na ja, den kann man nicht befahren. Vielleicht auch nicht mit schlechten Schuhwerk begehen, aber laufen werden wir schon können.“







Der harte Weg zur Erkenntnis ließ nicht lange auf sich warten. Er wollte genommen werden. Eine Mangan-Performance. MANGAN25 ÜBERSETZT WELTEN. Nur zu.
Die Erschöpfung und die Klarheit, dass wir unser Tagesziel weit verfehlen werden, kam recht schnell. Genau gesagt ca. 3 Stunden nach unserem Aufbruch. Dazu kam die Ehrfurcht vor der Natur, deren Kraft und deren heimlichen Bewohnern. Regen, Schluchten, schmale Wege, die unter einem wegschmolzen, steile Wände hoch oder runter, Schlangen, Spinnen und was weiß ich, was da noch die Fühler nach uns ausgestreckt hatte.
Die permanente Konzentration auf den Weg. Welcher Stein ist der Richtige. In welcher Reihenfolge muss ich die vor mir liegende Steinkette betreten, um nicht abzurutschen. Ich sollte in der folgenden Nacht lange Träume mit den Lösungsversuchen von Steinkettenrätseln verbringen und wachte doch ohne eine Lösung auf.
Immer wieder, dieses beschämende Gefühl, wenn unsere Träger, Frauen, Männer und Kinder, barfüßig und schwer beladen an uns vorbeisprangen und rannten, an schwierigen Passagen uns dazu noch die Arme reichten um uns zu helfen. Der monsunartige Regen gab uns den Rest.
Die Nanga Parbat – Expedition, die erste Mangan – Expedition aus dem Jahre 2004, ist in den letzten Tagen immer mal wieder auf witzige Art und Weise Thema. Peter und Kai kommentieren und vergleichen gern die Ereignisse in Papua Neuguinea mit der Pakistanreise. Dass uns hier eine ähnlich heftige Bergtour erwischen wird, wie sie einst die Manganer am Nanga Parbat in die Knie zwang, konnte keiner wissen. Die Parallelen sind manchmal erschreckend. Das Lachen verging uns schnell.








Sie wollten um jeden Preis, dass wir uns sicher fühlen und wir wollten ab einem bestimmten aber sehr hohen Level der Erschöpfung, Durchnässung und Schlammverkrustung auf keinen Fall, dass wir hier die Vorlage für einen neuen Trekkingthriller a la „Lost in the Dschungel“ werden.
Was bleibt ist der Atem. Jeder kämpft für sich und doch miteinander. Kein Blick mehr in irgendeine Landschaft. Der Ort spielt keine Rolle mehr, nur noch das Ankommen. Nässe, Schlamm, Kälte spürt man nicht. Autopilot. Und dann das Erreichen einer Hütte in Tobou, die uns Unterschlupf ist für eine Nacht.
Raus aus den Klamotten. Sitzen, sitzen… nein, besser liegen. Ein Feuer wird gemacht mitten im Raum. O-Ton Kai: „Wer käme in Deutschland darauf eine Strohütte zu bauen und darin an einer offenen Feuerstelle ohne Schornstein ein Feuer zu machen?“
Auch wenn diese Variante von Wärmezufuhr mit einer kleinen Rauchvergiftung verbunden ist, kam mir das Feuer, an welches ich meine kalten Füße stellen konnte, sehr entgegen.
Ich hatte auf dem Weg nach oben schon hin und wieder mit Kai, unseren Bossman, wie wir ihn jetzt nennen, über die Möglichkeit einer Abänderung unserer Route gesprochen. Kai wollte erst einmal irgendwo ankommen, um sich Gedanken über neue Wege zu machen. Nun waren wir irgendwo angekommen und Entscheidungen mussten aufgrund von klaren Fakten getroffen werden.
Wir denken an Herman Detzner. Er muss diese Strecke zu einer anderen Jahreszeit gegangen sein. Im Moment haben wir Regenzeit in den Hinterlands. Wir sind uns sicher, dass auch er Schwierigkeiten gehabt hätte, wäre er im August aufgebrochen. Die Trockenzeit liegt in diesem Landstrich zwischen Oktober und Januar. Das haben wir gründlich verfehlt.



MANGAN25 ÜBERSETZT WELTEN. Aber nicht um jeden Preis.
„Wir kehren um!“ Das war die beste Nachricht dieses Tages. So simpel und gut. Nicht nur für uns Manganer auch für unsere Guides und Träger.
Irene, Peter und ich verteilten Schmerzmittel und Magnesium hochdosiert. Die Träger hatten es genauso nötig wie wir. Dann ein Versuch in der Räucherkammer in voller Mannschaft zu schlafen. Einigen gelang es, anderen nicht und ich hatte ja, wie gesagt, mit meinen Steinkettenrätseln zu tun.






Der Weg zurück wurde in 2 Tage aufgeteilt. Uns fehlte durch den ersten langen Marsch jegliche Energie. Eine Aufladung zwischenzeitlich war nicht möglich. Also hieß es langsam gehen. Pausen machen. Nicht ausrutschen und fallen. Jetzt bloß nicht noch die Knochen brechen, wo wir uns schon brav auf den Heimweg machen. Mein Gehen war hin und wieder einem Torkeln gleich. Irgendwie konnte ich das Gleichgewicht nicht sauber steuern, wenn ich mich nicht stark darauf konzentrierte. Den Alkohol zu diesem Zustand hätte ich allerdings gerne real genossen.
Der Galgenhumor hing hoch am Himmel. Immer wieder fällt einer auf den Hintern oder auf die Knie. Die 7. Armee von Stalingrad schlängelt sich den Dschungelhang hinab und wieder hoch. Und immer wieder diese scheiß Steinkettenrätsel.
Die klaren Fakten, die wir auf unseren Pausen mit Hilfe unseres GPS-Gerätes errechnen für unseren ersten Tag in Richtung Grasslands sind folgende.
Mindik – Wohan – Tobou
9 Uhr Start – 18 Uhr Ankunft
15,7 Km Strecke
5 Bergkämme
4 Täler
1053 Höhenmeter hoch
800 Höhenmeter runter
Jetzt gehen wir diese Hammerstrecke zurück auf 2 Tage verteilt. Das empfinden wir als angemessen.
Sollte ich noch erwähnen, dass wir die Schlangen nicht nur gespürt haben, sondern auch gesichtet haben? Eine Taipan am Wegesrand, die sich gerade an einen, sich im Gras ausruhenden Träger heran und vorbei schlängelte. Frederik sah sie im Vorbeigehen und konnte den Träger warnen. Der sprang sehr, sehr ängstlich auf und sagte nur… „Jesus Christ!“. Schwein gehabt.
Wir nähern uns Mindik. Unserem Bascamp. Unserem sicheren Hafen. Es ist Montag, der 15. August. Lukasz hat Geburtstag. Am Tag zuvor behauptete er noch, er würde 36 Jahre alt werden. Als er am Abend erschöpft auf seiner Matte in der Räucherhütte in Wohan lag, fragte er laut in die Runde, ob er denn wirklich 36 Jahre alt wird, wenn er 1981 geboren ist? Die Antwort ist ja klar. Er wird 35 Jahre alt und freute sich über das vermeintlich geschenkte Lebensjahr. Ein Symptom einer Art tropischen Höhenkrankheit vielleicht??? Egal.













An den Rändern der Hänge, die das Dorf Mindik säumen, stehen sie rufend und winkend, heißen uns willkommen aus der Ferne runter ins Tal. Die, die uns traurig vor drei Tagen verabschiedeten.
Wir sind glücklich zurückzukommen. Eine Art nach Hause kommen. Sie umarmen und küssen uns. Vergeben großherzig ihre Liebe.
Pastor Gais telefonierte in Tobou mit seiner Familie und kündigte unserer Rückkehr an. Sie schmückten das Dorf und unseren Mangan-Salon erneut mit frischen Blumen. Legten Strom, dass wir unserer Geräte laden können, backten gleich 3 verschiedene sehr schmackhafte Kuchen, um Lukasz eine ordentliche niuginische Geburtstagszeremonie zu präsentieren. Sie sangen, sie klatschten, sie übergossen ihn mit Konfetti und ließen ihn mit herzlichen Worten und 35 lauten Ausrufen in den Dschungel hochleben. Ein sehr bewegender Moment, nicht nur für Lukasz.









Sie nehmen uns unsere dreckige Kleidung und die verkrusteten Schuhe ab um sie zu waschen. Bereiten warmes Wasser und warmes Essen. Sie sprechen über uns als ihre neue Familie. Auch wenn dies große Worte für uns verschlossenen Deutschen sind, in diesem Moment fühlen wir uns alle von einer neuen Familie umgeben.
Wir sind dankbar und fühlen uns als Sieger trotz des Scheiterns der eigentlichen Idee. Wir sind Gott sei dank Künstler und unsere Ideen nicht an konkrete Orte gebunden. Sie kommen aus uns selbst. So lange eine Aufladung möglich ist, werden wir unsere Arbeit machen. Auf uns wartet nun noch einmal Sattelberg, Junzaing, Heldsbach und Finschhafen, wo wir noch einige Koffer mit Fragen stehengelassen haben, die wir nun mit Antworten füllen können.




Aber in den nächsten 2 Tagen gilt es den Gleichgewichtssinn und die Beinmuskelatur wieder zu sensibilisieren. Noch immer stürzen wir hier durch die Dorfmitte, rutschen aus, setzen uns auf den Hintern und haben schon wieder unsere sauberen Sachen eingesaut.

4 Kommentare zu „Im Scheitern verschlungen der Sieg“
RESPEKT !!!
Das Lesen bewegt sehr. Ich freue mich über eure Entscheidung, gratuliere Lukasz nachträglich zum Geburtstag und sehne ein Wiedersehen herbei. So bekommt die oft hingenuschelte Floskel „Auf Wiedersehen“ eine völlig neue Aufladung – eine mit ordentlich Fleisch unter der Schürze. Interessant auch wie sich die Perspektiven ändern. Hier geht der normale Alltag seinen Weg. Vor meinem Fenster entsteht gerade ein Haus, am Schnittplatz ein Film. Doch was ist die NORMALITÄT – augenscheinlich etwas sehr Bewegliches. Liebe Momo, die Beschreibung eurer Normalität, des Ankommens ZU HAUSE, des Fühlens von Geborgenheit im vertrauten Dorf, des Alltags zwischen Wundheilung, Schlangenbeschwörung und Kuchenessen hat jede Menge Feuer im Stift. Dafür dankt Tom
PS.: Manche Rätseln wollen nicht gelöst werden, sondern ein Geheimnis bleiben. Gehören Steinkettenrätsel dazu? Offenbar nicht, denn ihr seid den Weg gegangen.
Nicht nur die Kraft des abendlichen Schreibens in den Blog ist verwunderlich, sondern auch der Humor, der jeden Eurer Texte begleitet! Die Tiefe, die Ehrlichkeit und Schönheit!
Ein Tag ohne Blog-Eintrag … schon gedacht … na? … alles O.K.?
Jetzt nach dem Lesen des heutigen faszinierenden Textes, nach dem Betrachten der beeindruckenden Bilder bin ich nur erstaunt, wo ihr noch die Kraft zum Schreiben dieses Expeditionsblogs hernehmt.
Ladet eure Akkus auf, tankt neue Kraft für die noch anstehenden Ziele!
Grüße aus dem fernen Cottbus! Toi, toi, toi!!!
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