Montag früh liefen wir gegen neundreißig aus Tobermory aus. Wir ließen den Sund hinter uns, setzen Groß – und Vorsegel und nahmen mit stolzen neun Knoten stramme Fahrt auf. Die atlantische lange Dünung schob sich halbachterlich unter unseren Kiel. Die „Raphy G“ beginnt ihren schaukelnden Tanz. Unter Deck ist nicht mehr viel möglich, außer Brechreiz und Seekrankheit. Wolkenfelder schieben uns immer wieder reichlich Regen auf die Mütze, doch der große weite Raum des Meeres nimmt uns in seinen kontemplativen Schoß. Die Bewegung darin gleicht einem Stillstand, obwohl unser Kahn recht heftig schlingert. Der Zustand ist hypnotisch und dem Denken sehr zuträglich. Man kann sich gleich einem Schachspieler labyrinthisch in Ideen verwandern. Es ist die Sprache, die das erste Paradigma aufstellt. Was wir nicht benennen können, ist nicht möglich zu denken, allenfalls in Kunst auszudrücken. Denken und denken lassen. Cezanne sagt, wenn er die Landschaft malt, dann ist er die Landschaft. Ich sehe wie bei Rübe sich die Schotten öffnen und er sich die inneren Hebriden reinfließen lässt. Er ist eben ein solch intuitiver Maler, wie die alten Impressionisten. Das Glück steht ihm ins Gesicht geschrieben. Wir passieren die bizarren Inseln Eigg, Rum und Canna. Der erste Schöpfer hat hier ein paar Minuten länger mit dem Meißel drauf gehauen, als an anderen Ecken der Welt. Vielleicht hat er hier auch angefangen mit seinem Kunstwerk. Andere Gegenden auf dem Planeten sind wohl deshalb so öde und blasse Konfektion. Hier hat er noch mit Formen experimentiert. Ja die Kunst, sie ist ein Motor für Paradigmenwechsel, sie kann das Noch-Nicht-Denkbare hörbar und sichtbar machen. Die wuchtige Landschaft tankt mich weiter mit pathetischen Tour de Horizons auf. Ich kürz das mal besser ab hier, sonst schläft der Leser ein. Wichtig zu erwähnen scheint mir jedoch, die magnetische Anomalie bei Neist-Point von Sky. Dietmar beginnt plötzlich gelbe Punkte am Ufer zu sehen. Momo gerät beim Toilettengang aufgrund einer schweren Böe unfreiwillig unter die Dusche, die sofort ihr Werk verrichtet. Ausgewilderte Schafe stehen auf absurd steilen Hängen der hundert Meter hohen Basaltklippen. Eine seltsame Vogelart, Pinguinen gleich, versucht zu fliegen und taucht immer wieder ins Wasser. Und wieso, fragt Wolfgang, kommt Mann in so einer rauen Gegend auf die Idee Röcke zu tragen. Am Horizont westwärts tauchen die dunklen Kegel der äußeren Hebriden auf. Das war einmal das Ende der Welt, dahinter nur noch Ozean und dann war die Scheibe zu Ende. Das war lange, sehr lange nichts als die Wahrheit. Nur die wilden Nordmänner müssen es schon besser gewußt haben, sie scherten sich nicht um höhere Bildung. Gegen zwanzig Uhr machen wir in einer Bucht von Sky an einer Ankertonne fest und liessen uns die Soljanka vom Vortag schmecken. Grog gab es auch. Klaro. Gute Nacht.

Schottland 2017
Paradigma – Rund Schottland Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen. Wer gibt Erklärung solcher Schleudermacht? Der Philosoph, er weiß es nicht zu fassen. Da liegt der Fels, man muß ihn liegen lassen. Zuschanden haben wir uns schon gedacht. (Aus „Faust 2“ von Johann Wolfgang von Goethe) Im Jahr 1840 durchstreift Louis Agassiz