Eh eh eh eh eh

Afrika, das stelle ich fest, ist mir nach wie vor vertraut. Es hat sich zwar verändert. Was treibt all diese Menschen an, die aus prekären Wohnverhältnissen jeden Morgen wie aus dem Ei gepellt in die Stadt streben? Und wieso sieht man ihnen nicht an, dass sie erst eine Kloake überquert und dann eine Stunde in das Hyundai-Äquivalent des VW Bus mit 16 Leidensgenossen eingepfercht in die Stadt gefahren sind? Wieso sind alle hier so beflissen – trotz objektiv geringer Chancen? Würde ich hier geboren nicht lieber irgendwo unter der Palme schnarchen und mir Mangos in den Mund fallen lassen? Und was ist eigentlich mit, nein, lassen wir das. Der Kampf um Platz, Geld und Macht verdrängt einen Teil der Magie, jedenfalls hier in der Stadt.

Einige mir lieb gewonnene Angewohnheiten haben sich hier aber nicht geändert. Beispielhaft das Verhalten in Wartesituationen.

Fall 1) Gestern stand ich in der Filiale von Movitel, wo wir immer die Karte für unseren WiFi-Router aufladen. Während ich im Gespräch mit der Verkäuferin bin (angestrengt, denn sie spricht Portugiesisch, ich mein genuscheltes Spanisch), kommt ein Herr, stellt sich zwischen uns, legt sein Telefon auf den Tisch und fängt an zu reden. Meine Bedienung wendet sich ihm zu und fängt an, mit ihm zu sprechen. Ich stecke sein Telefon in meine Hosentasche und rede meinerseits weiter. Er guckt verduzt und sagt: „Eh eh eh eh eh“. Ich beende meine Konversation und gebe ihm am Ende sein Telefon zurück. Er ist mir gar nicht böse, sondern wir lachen alle drei.

Fall 2) Ich gehe zum Schuhputzer um meine etwas angegammelten Schuhe vor dem Besuch im Goethe-Institut restaurieren zu lassen. Der Schuhputzer lässt sich von mir „Schuhe putzen“ in alle möglichen Sprachen übersetzen, und ich schreibe ihm das auf einen Zettel, damit er das in Zukunft Touristen hinterherrufen kann. Kurz bevor wir fertig sind, erscheint jemand und stellt seinen rechten Fuß auf den Schuhputzbock und bittet den Schuhputzer, seine Schuhe zwischendurch schnell zu polieren, er habe es eilig. Ich öffne und verknote gewissenhaft seine Schnürsenkel und bitte darum, erst meine fertigzustellen. „Heia!“.

Fall 3) Passkontrolle Maputo am Tag unserer Anreise. Wir warten in einem Labyrinth aus Absperrbändern bis wir an die Reihe kommen. Eine dicke Frau zieht ein Handgepäck (wog wohl 40 Kilo) schnaufend hinter sich her und schiebt sich an der Schlange vorbei. Ich bin fast dran, und stehe dort, wo sich die Schlange auf die zwei Schalter aufteilt. Schnell konfiguriere ich die Absperrbänder neu, so dass sie in einer Sackgasse landet. Madame ist erstaunt („Eh eh eh eh eh.“), ich sage ihr, dass sich erst dran bin. Sie erklärt mir, dass ihr Gepäck so schwer sei. Die Szene endet damit, dass ich ihr Gepäck aus dem Flughafen schleppe und ihr dabei erkläre, dass ich gerne gefragt würde, ehe jemand meine Position in der Schlange einnimmt. Ihre Position war, dass ich doch gesehen hätte, dass ihr das schwerfällt und Männer überhaupt die Frauen schlecht behandeln. Hat sie immerhin einen Punkt.

Meistens ist Reisen nämlich damit verbunden, dass man sich einschränkend auf die Situation im Gastland einstellt. Diese Einschränkungen könnte man ja mit zusätzlichen Freiheiten an anderer Stelle vielleicht kompensieren? Bei dem Reflektieren dieser Erlebnisse und Beobachtungen kam mir daher Gedanke, ob es nicht bequemer wäre, wenn man sich die (aus unserer europäischen Sicht) im Zielland vorherrschenden schlechten Angewohnheiten aktiver abguckt muss statt latent kolonial immer zu denken, man müsste das ändern und unsere Verhaltensvorstellungen exportieren? Sonst hat man ja immer nur die Schnittmenge des zu Hause und hier Erlaubten als Verhaltensspektrum …

Aber von vorn. Auf Reisen in Afrika gibt es eine Menge Beschränkungen, von denen man mit unserem Ich-zentrierten Weltbild zwar viel lernen kann, aber – zugegeben – nicht in jeder Situation will z.B.

  • Kein Küssen auf der Straße … das war diesmal keine Einschränkung
  • Nicht die linke Hand zum Essen benutzen
  • Gastfreundlich zu Leuten sein, die man nicht mag
  • Zum Nase Putzen aufs Klo gehen müssen (habe das hier in Mosambik allerdings gar nicht beobachten können)
  • Keine Flughäfen, Bahnhöfe, Brücken fotografieren
  • Teilen müssen: Essen, Geld, Wohnraum, „credit“ auf dem Mobiltelefon, Benzin im Autotank
  • Die Autorität nicht hinterfragen (hier wäre ich gerne Chef)

Kein Reiseführer erklärt aber, was man hier alles darf, was zu Hause verboten ist. Ich müsste eigentlich mal einen Kulturführer des erweiterten Verhaltensspielraums verfassen, der dies aufzeigt. Auf meiner Hitliste wären:

  • Vordrängeln und Dazwischenreden (außer bei alten Leuten). In den drei oben geschilderten Situationen wäre es ja vielleicht besser gewesen, ich hätte mich am Anfang gleich selbst vorgedrängelt, dann hätte mich der Angriff auf meine Position in der Warteschlange nicht gejuckt?
  • Fatalismus gegenüber Problemen, bzw. das Begreifen von Problemen als Problem des anderen (Ich: „Die Marmelade ist voller Ameisen.“ Er: „Klar, die gehen nach dem Zucker.“)
  • Auf jeder Wiese schlafen (ein Traum!)
  • Überall mit dem Auto durchfahren und parken
  • Sich im Restaurant bequem hinfläzen
  • Sich jederzeit überall kratzen
  • Den Fernseher den ganzen Tag laufen lassen
  • Mit Badelatschen ins Ministerium gehen (das hatte Tom schnell begriffen)
  • Ungeniert überall hingucken können und sich in besonders interessanten Situationen dafür eine Sitzgelegenheit suchen
  • Bei jedem Freund und Familienmitglied jederzeit unangemeldet auch für mehrere Tage erscheinen dürfen (auch wenn die einen nicht mögen)

Mir fällt mit etwas Überlegen sicher noch einiges ein. Heia Safari!

Die Expedition

Expeditionsblog

Expeditionsteilnehmer

Kai-Uwe Kohlschmidt (Autor/Komponist)

Tom Franke
(Regisseur)

Georg Linde
(Afrikawissenschaftler)

Lutz Rentner
(Autor)

Das Expeditionsziel

Die Künstler von Mangan25 begaben sich im März 2015 auf Spurensuche nach Mosambik. Sie sprachen mit ehemaligen Vertragsarbeitern, suchten die Vereinigung „Mad Germanos“ auf, die bis heute für nicht gezahlten Löhne aus DDR-Zeiten auf der Straße streiten und erlebten so eine besondere DDR-Community im fernen Maputo.

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