Der Weg zu Detzner führt nach oben

Heute brachen wir in Junzaing auf um zu Detzners Versteck, zu seiner Hütte zu laufen. Es hatte die ganze Nacht stark geregnet. Der kaminrote Lehmboden bot sich als eine einzige Modderpiste. Um 9 Uhr sollte es losgehen. Wir verabredeten uns vor dem Abmarsch noch ein paar Einzelinterviews innerhalb der Gruppe zu den Ereignissen der letzten Tage zu führen. Und so viel haben wir schon gelernt. Die Uhren in Papua Neuguinea ticken nicht im selben Takt wie die in Europa. Wir konnten uns also Zeit lassen mit der Arbeit. Mit 9 Uhr ist eher nicht zu rechnen.

Am Morgen hörte man Kettensägengeräusche aus dem Dschungel schallen. Ungewohnt gewohnt dachte ich noch. Dass das Dorf hier schon seit den frühen Morgenstunden im Einsatz ist, um uns den Weg durch den Dschungel zur geheimen Stelle Detzners Unterkunft zu bahnen, wussten wir noch nicht. Um 11 Uhr hieß es endlich Abmarsch. Begleitet von Pastor Dick, unseren Guides Gais und Gaity, 4 weiteren Machetenmännern und einigen Kindern verließen wir das Dorf um 2 Kilometer und 200 Höhenmeter durch den Dschungel zu steigen. Das Dorf hatte den Weg mit Farnblättern, die wie ein Pfeil in eine Richtung zeigten, markiert. Es ging sehr steil nach oben. Tiefer Regenwald. Avocadobäume, Kaffeebäume, gewaltige Bananenpflanzen, Chilipflanzen und tropische Blumen säumten unseren Weg nach oben. Glitschig und rutschig. Teilweise hatten wir Passagen zu überwinden, die leiterähnlich steil, fast waagerecht den Hang hochtrieben. Die Kinder barfuß, so auch die Einheimischen, sprangen wie junge Pfohlen von Stein zu Stein, von Abgrund zu Abgrund. Wir Manganer schnieften eher gemächlich hinterher. Ich dachte, ja… die Geschwindigkeit ist der springende Punkt. Nur, wenn der Punkt nicht mehr springen kann, nützt einem auch die Erkenntnis nichts. Also, durchhalten.
Die Regenwaldtäler, die sich rechts und links unseres Pfades eröffneten, waren atemberaubend. Von Nebel verhangen, im satten Grün, üppig und hoch gewachsen. Hier hat sich Gott wahrlich Mühe in der Landschaftsarchitektur gegeben. Hier hat er nicht gespart. Auch in der Ansiedlung der Tiere nicht. Paradiesvögel schweben über unseren verschwitzten Köpfen. Der ein oder andere Kakadu bläst ins Horn. Blutegel und kleine weiße Würmer, die sich in die Haut bohren und dort Entzündungen verursachen. Schlangen? Ich habe keine gesehen, aber ich war mir sicher, sie sehen uns. Eines der Kinder möchte gern mein persönlicher Guide sein. Er ist vielleicht 7 Jahre alt und sagt, er gehe vorne weg um die Schlangen zu vertreiben. Er trug eine kurze Hose und nichts an den Füßen. Ich musste lachen. Nicht über den Jungen und seine Kühnheit, als vielmehr über die Empfindlichkeit der Europäer. Diese Kinder sind so frei von Ängsten und Zwängen, dass sie immer sehr pur reagieren. Sie lachen und kichern. Sie stellen Fragen und zeigen gern ihre Welt. Sie wissen, dass ihr Land für uns genauso fremd ist, wie das unsere für sie. Die Faszination und Neugier liegt auf beiden Seiten gleichermaßen. Komischerweise fühle ich mich mit dem kleinen Jungen sicher. Er wird wissen was zu tun ist, wenn es nötig ist.
Wolken ziehen durch den hochgelegenen Dschungel, so das ein permanent leichter Nieselregen in der Luft steht. Es ist egal. Richtig trocken sind wir schon seit Tagen nicht mehr. Man gewöhnt sich schnell an klebrige Haut, klamme Kopfkissen und Schlafsäcke und an dreckige Fingernägel.
Als wir den Ort der Hütte Detzners erreichen, sehen wir, dass einige Dorfbewohner hier oben auf uns gewartet haben und den Platz der ehemaligen Wohnstätte für uns hergerichtet haben. Sie haben die Pflanzen drum herum weggeschlagen und die Hütte, die im Original heute nicht mehr sichtbar ist, nachgebaut. Pastor Dicks Großvater hatte mit drei weiteren Männern des Dorfes 1914 die Unterkunft für Detzner errichtet. Somit wusste Pastor Dick, wie sie gebaut war. Im ersten Moment sahen wir sie kaum. Sie verschwand im großen Grün des Dschungels. Als wir näher traten, war da nur ein 2 mal 4 Meter großes, unterstandähnliches, mit Farnen und anderen Blättern abgedecktes und zugebautes Holzgerüst zu erkennen. Recht flach. An der höchsten Stelle vielleicht 1,70 Meter hoch. Innen ebenfalls dick ausgelegt mit Farnen.
Wir sind überrascht. Wir kriechen hinein und nehmen darin Platz. Es wird still um uns herum. Die Einheimische wissen nicht so recht, was wir da in der Hütte machen. Wir denken, das kann nicht sein, dass Detzner in einem solchen Nichts 4 Jahre allein gelebt hat. Was war sein Motor das durchzuhalten? War es die Angst vor der Gefangenschaft oder eine enorme Überzeugung, dass dieser Teil Papuas deutsch bleibt? Oder wollte er das Paradies einfach nicht verlassen? Und im nächsten Moment lassen wir uns ein und versuchen eine Vorstellung von seinem selbtgewählten Gefängnis zu bekommen. Mittlerweile regnet es stärker. Sicher die normale Wetterlage hier im Regenwald. Wir hören in den Sound, den Detzner tagtäglich genauso gehört haben muss. Der Dschungelsound erzählt Fülle und Einsamkeit gleichermaßen. Hier wird man wahnsinnig, wenn man niemanden hat, der einem bestätigt dass man existent ist. Wir fangen an Detzner zu begreifen, die Beschreibungen der Zeitzeugen über das Verhalten Detzners zu fassen. In dieser langen Einsamkeit wird man zum verängstigten Tier. Dieser Dschungel trägt so viel Vollkommenheit in sich, die sich in Schönheit und Gefahr gleichermaßen zeigt.
Als wir die Hütte wieder verlassen, steht plötzlich ein Niugini-Jäger im traditionellen Palmenblätterröckchen und Pfeil und Bogen hinter der Hütte. Er ist für uns gekommen, um uns zu zeigen wie die Niuginis damals und noch bis in die 80er Jahre hinein gekleidet waren. Er ist schon beeindruckend, aber filmen wollen wir ihn erst einmal nicht. Zu viel Folklore. Einen Moment später steht eine Frau neben ihm. Ebenso nur mit einem Palmenblätterröckchen und Halsschmuck bekleidet. Sie trägt einen Korb mit Bananen und will sie uns anbieten. Wir nehmen an und ich beginne mit ihr zu reden. Sie spricht eine Mischung aus Kotte und Englisch. Sie trägt einen langen schmiedeeisernen schwarzen Stab mit abgeflachten Kopf bei sich. Wie ein überlanger dicker Nagel. Ihren Worten kann ich entnehmen, dass dieser Stab etwas mit Detzner zu tun haben muss. Ich rufe einen Übersetzer und sage zu Kai „Man Kai, ich glaube das ist ein Detznertool.“. Tatsächlich. Ihre Großmutter war eine der drei Frauen und vier Männer, die sich um Detzner kümmerten. Bei seinem Abschied aus Junzaing schenkte Detzner ihr diesen langen Nagel und eine geschmiedete Hacke, damit sie es leichter beim Pflanzen und Ernten ihres Gemüses hat. Wir sind sehr berührt. Über uns schreit ein Kakadu und es regnet unaufhörlich. Das Gefühl Glück zu haben, auf diese Menschen getroffen zu sein, die die Geschichte um Detzner über 3 Generationen bewahrt und gepflegt haben, ist an diesem Tag unbeschreiblich groß. Wir sind dankbar.
Dieser Ort arbeitet in uns und wir mit ihm. Frederik gibt Shakespeare zum Besten, den Detzner damals im Dschungel als eines von zwei Büchern bei sich hatte. Er las sich regelmäßig daraus vor um nicht wahnsinnig zu werden. Das zweite Buch war Goethes Faust. Neben einem weißen Kakadu, der von den Einheimischen „Koki“ genannt wird und dem er das Sprechen beibrachte, seine einzige Verbindung zur Muttersprache Deutsch.
Wir brechen auf und nehmen den Weg nach unten. Eine Schlitterpartie für uns Europäer. Für die Niuginis ein schnelles Herunterlaufen und Hüpfen ohne Stop.

Ich denke, ja… die Geschwindigkeit ist der springende Punkt. Nur, wenn der Punkt nicht mehr springen kann, nützt einem auch die Erkenntnis nichts. Also, durchhalten.

2 Kommentare zu „Der Weg zu Detzner führt nach oben“

  1. Ich bin schon voller Erwartung den nächsten Tag miterleben zu können …ja wahrlich durchhalten !!Motivation ist sicher täglich erforderlich …Bald ist Bergfest in Sicht ,:))
    Trotzdem einzigartig von allen etwas zu hören ,ganz grosses Lob an das gesamte Team !!

  2. Wie lebendig dieser Tag beschrieben ist- einfach so, als wäre ich dabei. Wunderbar!!!! Detzners Nachfahren- wahrlich!!!!

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