Erste winzige Sonnenstrahlen dringen durch das Schilfgeflecht unser restlos verqualmten Hütte. Wir liegen dicht bei dicht. Fünfzehn Träger und acht Manganer. Ich versuche mich auf die rechte Seite zu drehen. Es schmerzt in jedem Muskel. Unter mir scharrt ein Huhn. Die Hütte steht auf Stelzen und aus der Ferne schlagen Trommeln und rufen zum sonntäglichen Kirchgang. Heute wird ein guter Tag, denn wir kehren wieder um.
Als wir gestern uns frohgemut auf die Piste begaben, hatten wir keine Vorstellung, was Hochdschungeltrekking hier bedeutet. Alles ließ sich gut an, als die Trägerkolonne in den halbgetrockneten Matsch ihre nackten Füße setzte und tüchtig ausschritt. Bei Google Earth hatte ich sechs Kilometer ermittelt. Ich werde den Herrschaften darüber noch Bescheid stoßen müssen. Selbst das Höhenprofil erschien mir moderat. Doch weit gefehlt. Nach zwei Stunden hatten wir gerade 4,5 km geschafft und waren schon leidlich geschafft. Die Wege waren steil und nach wie vor rutschig. Dann wurden sie eng und von dichtem Bewuchs. Zwischenzeitlich mal dreißig Meter „Ebene“, dann wieder steil hoch und hinab. Fünf Berge sollten wir an diesem Tag überqueren. Immer gute 300-600 Höhenmeter hinauf und hinab, denn zwischen den Bergen lauern reißende Flüsse. Die Brücken darüber bestehen aus einzelnen Baumstämmen oder Hüpfsteinen. Alternativ kann man die Schuhe ausziehen und durch die wild gurgelnde Strömung waten. Der Spaß hält sich in Grenzen. Unsere Schuhe moderig und wenig geeignet für artistische Schwebebalkenübungen. Viel Überwindung und der Mut des Ausweglosen bringen einen hinüber. Gais und Gaity haben alle Hände voll zu tun, um uns über die Hindernisse zu hieven. Die Träger haben zusätzlich noch 20kg Gepäck und sind dennoch schneller. Hinter dem dritten Berg setzt Regen ein und bringt eine weitere Dimension in die Plackerei. Jetzt geraten die Pfade in Bewegung. Hin und wieder ein Abgrund neben dem 30cm breiten Pfad. Trügerisch mit etwas Schlingpflanzen bewuchert. Ob sie einen Fehltritt abfangen würden? Stumpfheit und Dumpfsinn bei jedem inzwischen schmerzvollen Tritt. Wie Irene später sagen wird, ist Gleichgültigkeit ist die größte Gefahr. Also weiter mit höchster Konzentration die glänzenden und schmutzigen Lemonstones abschätzen, hoffen dass der Tritt im Schlamm hält, sich am Bambusstab festklammernd, ihn zum tausendsten Mal irgendwo reinrammen und prüfen ob er europäischem Übergewicht standhält. Und weiter. Was? Schon wieder hinauf? Fuck! Come on, da oben gibt es bestimmt eine schöne Ebene mit Ausblick oder ein Biergarten oder sonst irgendeine Erlösung. Wir schlingern durch eine Wolke. Wenn unsere Guides zur Pause Hühnerkekse reichen, wissen wir, dass uns neuer Spaß bevorsteht. Am Nachmittag die „Entscheidung“, dass wir in Tobou übernachten werden, da Awengu in unerreichbare Entfernung gerückt ist. Nämlich weitere drei Berge. Mit letzten Kräften und Tageslicht schleppen wir uns in das Stammesgebiet der Tobou. Starkregen setzt ein. Wir sind alle bis auf die Haut durchnässt und schlammverkrustet. Eine Hütte wird für uns geöffnet und wir tasten uns hinein. Regendicht ist nicht das Prädikat des Schilfdaches. Wir ziehen die nassen Sachen aus und lassen uns fallen. Dann geschieht vieles in Zeitlupe. Das Umziehen, das Lagerverteilen, später das Kochen, das Essen. Wir besprechen unsere Erfahrungen und neuen Informationen. Der Weg nach Awengu und Siu soll um einiges haarsträubender sein. Freizumachender Dschungel. Schlamm ohne Steine. Steilheit allenthalben. Und die Grasslands? „Da niemand geht durch“ sagt ein Einheimischer. „Dichtes scharfes Gras, groß wie Mann. Sehr sehr kalt. Nicht gut. Nicht gut.“ Ich glaube, dass wir eines in den letzten Wochen gelernt haben. Wenn Einheimische die Lage schon kritisch einschätzen, dann ist das keine Warnung mehr. Wir könnten uns ebenso gut vornehmen, den Mond zu bereisen. Es liegt nicht in unseren Möglichkeiten. Jedenfalls nicht als Gruppe. Und das fünf lange Tage lang. Vielleicht hätte unser Youngster Fredrik die Power. Die Gruppe hat sie bestimmt nicht und auch nur ein schwer gestauchter Fuß würde uns ins feuchte Dickicht des Dschungels nageln und kaum noch lösbare Probleme schaffen.
Es geht schnell. Nach dem Essen finden wir schnell gemeinsam heraus, dass Umdrehen das Gebot des nächsten Tages sein muß. Zurück nach Mindik und nicht so schnell wie gestern, mit einem Zwischenstopp in Wohan, ein kleines Dorf unterwegs. Dann werden wir den Weg zurücknehmen, nach Mindik, Junzaing und Heldsbach, werden noch einmal sorgfältiger in die Geschichte Detzners tauchen, wo wir manches in Eile erledigen mußten.
Die Selbstkasteiung und der Horror des ewigen Auf und Ab dürfen wir noch zwei Tage geniessen. Als Habitatserfahrung muß das reichen, wir wollen schließlich heil zurück. Wenn Nehberg oder Messner die Nummer mit den Grasslands nochmal angehen wollen, wir können zumindest brauchbare Informationen zum Einstieg liefern. Andere und vor allem unsere Arbeit wartet auf uns.

1 Kommentar zu „Der Horror und die alten Knochen“
EXPEDITIONSTEILNEHMER- meine Hochachtung!!!! Kai, Du hast es sehr bildreich beschrieben und trotzdem wird wohl nur ein Bruchteil Eurer (Tor-)Tour hier drüben fühlbar sein! Ich weiß, dass eigentlich erst die Welt untergehen oder die einzig begehbare Gasse aus bewaffneten Nachtgestalten bestehen muss, dass Ihr umkehrt und bin sooooo froh, dass Ihr es tut! Wie immer- Safety 1st. Ist es da verwunderlich, was Detzner widerfuhr?
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