Da waren sie wieder unsere drei Probleme: Dauerregen, heftige Niederschläge und permanent Wasser von oben. Die große Familie von Pastor Gais, unserem Chefguide, umhegt und pflegt die launigen und ungeduldigen Künstlergemüter. Wir dürfen uns längst Bruder und Schwester nennen, dennoch sind wir anders als die andern. Wir essen dreimal täglich in rauen und abwechslungsreichen Mengen. Ständig brauchen wir heißes Wasser für Kaffee und Ingwertee, unseren Alkoholersatz.
Dass das Wasser weit unten aus dem Creek geholt werden muß, läßt stündlich eine Schwester mit Kanistern aufbrechen.





Täglich wird von irgendwo Benzin organisiert, damit der Generator nachts für unsere Akkus seine Runden dreht. Nützlich sind wir auch nicht besonders. Denken wir. Wir lassen ein paar Kina hier und Ausstausch wird gepflegt, mit den Kindern vom Dorf, den Kranken im kleinen Spital, den Lehrern der Primary School und jedem, der sich durch den Regen kämpft und vorbei kommt. Doch nach und nach entstehen zarte Geflechte der Vertrautheit. Gespräche führen tiefer in die Geschichten unserer Gastgeber und unseres Teams. Gaity ist ein begnadeter Koch und Künstler der malaysischen Küche. Soviel hat unser Gaumen schon herausgefunden. Er hat in verschiedenen Restaurants ins Lae gearbeitet. Nur gejobbt, wie er sagt, weil er das Geld für ein Studium in Australien sparen wollte. Schnell war er begehrt bei großen Restaurants. Er lernte seine Frau kennen. Ein Sohn wurde geboren. Doch der Stamm seiner Frau, war gegen die Verbindung. Im Altdeutschen kennt man zu Schwiegereltern auch den Begriff der „Gegnerischen“. Im Altpapuanischen kennt man nicht nur Begriffe, sondern auch Taten. Die widerspenstige Tochter wurde kurzerhand vergiftet. Gaity lebt seitdem in Trauer. Ein rotes Band um Hals und Handgelenk legt davon Zeugnis ab. Seine Frau hat er hier in Mindik begraben. Jetzt zieht er mit uns durch den Dschungel und das wird ihm wohl etwas Ablenkung bringen.
Soeben kommt die Nachricht, dass unser Jeep gestern Nacht um zwei Uhr aus Finschhafen eingetroffen ist. Er hat die 70km Modder of the roads in nur 2 Tagen bewältigt. Das läßt viel hoffen, dass wir bald hinab können. Zu unseren verbleibenden Spots in Junzaing, dem Sattelberg und Heldsbach.






Das hier an den schönen Ort Gefesseltsein hat seine Spiegelung in Detzners Geschichte, der ebenfalls fest saß und mit seinem Wahnsinn und der Einsamkeit kämpfen mußte. Da er uns die Wahrheit weitestgehend schuldig geblieben ist, stellt uns vor einige Herausforderungen. In seinem später geschriebenen Buch verklärt und stilisiert er sich als Humboldt Ozeaniens. Er mußte später widerrufen. Seinerzeit gab es noch nicht das, bis zum Masochismus selbstentblößende Genre, des Abenteuererzählens ala Messner. Das wilhelminische Selbstbildniss und sein Ideal war der immerwährende sieghafte und erobernde Held. Dass dies Detzner hier im Dschungel kaum war, wissen wir von Christian Keysser, dem Missionar und unseren Zeit-und Ahnenzeugen. Dass die vier Jahre in seinem paradiesischen Gefängnis ihn hingegen an den Rand des Erträglichen brachten, ist schnell vorstellbar. Was wissen wir darüber? Nur sehr wenig. Wir wissen, dass er regelmäßige Malariaschübe hatte. Dass sein Papagei sein täglicher Gesprächspartner war und dass er sich aus Faust und einer Shakespeare-Ausgabe Texte laut selbst vorlas, um nicht restlos den Verstand zu verlieren. Mephisto, King Lear und Richard der zweite. Wir werden, sobald es das Wetter zuläßt, einen zweiten workout mit Frederik und diesen Texten unternehmen, um über Bande gespielt, uns Detzners Zustand zu nähern. Denn gewiß scheint, dass dieser eine Transformation durchmachte. Um den Fleischwolf des Jahrhunderts machte er zwar ein Bogen, aber seine Verwandlung mußte er hier im offenen Dschungellabor vollziehen. Im ersten Weltkrieg liegt ein Zivilisationsbruch. Aus den Gebeinen der Millionen entstieg der moderne Mensch. Gottlos zuweilen, zumindest wenig fromm, selbstsüchtig und individuell, visionär und auf seltsame Weise befreit. Befreit von den Götzen des Absolutismus, befreit von moralinen Leitplanken und bereit für das eigene Gottsein. Dass zwei Diktaturmodelle dagegen noch einmal Sturm liefen, hat wenig genützt. Die Umwälzung seiner Werte hat den befreiten Individualisten hingegen zu neuen Fragen und Abgründen geführt. Sein egomansicher und schamloser Wachstumswahnsinn führt ihn langsam aber sicher an den Rand eines Massensuizids. Neue Werte nirgends in Sicht. Jedenfalls keine, auf die man sich einigen könnte, solange man den alten archaischen Raubtiergenen erlaubt, sich sinnfrei und gegen alle anderen zu bereichern.
Solche Dinge und Hypothesen sollten wir untersuchen, wenn wir in die Texte gehen. Denn irgendwo dort, vor hundert Jahren, liegt ein Anfang von uns, von unserem Heute.





Oben an unserem Essenstisch sitzen Irene und Momo mit vier Frauen aus dem Dorf. Eine Frauenrunde. Sehr typisch hier. Sie besprechen die verschiedenen Welten, in denen wir jeweils leben und welche Werte wir schätzen und suchen. Hier im Hinterländ erscheinen uns Community und Familie in wunderbarer Weise harmonisch, gerecht und voller Liebe. Ihnen hingegen fehlen Infrastruktur, Zugang zu Wohlstand und Moderne. Alles ist sehr konkret und jetzt. Die Frauen besprechen, was sie im Leben vermissen und was sie zu ändern versuchen werden. Sie wollen alle ein bisschen tauschen, vom Leben des anderen lernen und tun es dann auch.
