Das atlantische Ballett

Schwer durchgeschüttelt haben wir im Hafen von Kinlochbervie angelegt. Das Festland von Good old Scotland hat uns zurück. Es war ein Glücks – und Höllenritt, aber dazu in einem späteren Post mehr. Mein Körper, meine Seele schwankt. Es war einfach zuviel heute. Ich versuche mich an die Erinnerungen unseres gestrigen Tages in Lewis and Harris festzumachen. Wir unternahmen einen ausgiebigen Landgang und fuhren mit einem Bus gut vierzig Kilometer ins Landesinnere. Den Steinkreis von Callanish wollten wir in Augenschein nehmen. Das Ensemble aus Menhiren mag kleiner als das von Stonehenge sein, gleichwohl ist dieser aber begehbar und erlebbar. Älter zudem. Aber lassen wir uns hier nicht zu sportlichen Vergleichen hinreißen. Callanish war da und wir in seiner Nähe. Eine gute Gelegenheit über die Paradigmen des Glaubens und seiner stürmischen Wechsel zu ventilieren. Unser Busfahrer pfiff sein immer währendes gälisches Liedchen und pflügte durch die Torfwüsteneien der wilden Hebrideninsel. Unterwegs zu schauen immer wieder seltsame Haus-Arrangements auf einsamen Grundstücken. Eine Häuserruine aus dem Mittelalter neben dem eine Häuserruine aus dem letzten Jahrhundert dräut und schließlich in unmittelbarer Reihe der heutige kleine Wohnsitz des Besitzers, manchmal sogar nur ein Wohnwagen als Abschluß dieses immer bizarren Dreiklangs. Nun, Platz ist da für die zur Schau gestellte Genealogie der Wohnsitze der Vorfahren.

Apropos Vorfahren. Die Mutter von Donald Trump ist hier geboren und siebzehnjährig nach Amerika ausgewandert. Vor ein paar Jahren war dieser zu Besuch seines Mutterhauses. Er weilte ganze 79 sec zum Besuch bei seinen Cousins in eben diesem Haus. Machte Fotos, fuhr zum Dinner ins Castle und flog weiter zu seinem Golfplatz in Aberdeen. Beliebt hat er sich hier nicht gemacht. Doch wo hat er das wohl schon. Wie er wohl sich fünftausend Jahre früher behauptet hätte, in der Steinzeit von Callanish? Wir inspizierten nun das Steinballett der Gneisriesen. Sie bilden ein imposantes Kreuz mit einem Kreis in der Mitte. Sie scheinen zu tanzen. Mit uns lustwandeln noch ein gutes Dutzend Reisender durch das megalythisches Rätsel, das natürlich ungelöst ist und weiten Spekulationen Raum gibt. Im Grunde tappt die Wissenschaft im Dunkeln, woran der Vorfahr Trumps wohl geglaubt hat, wenn er seinen Göttern damals hier Dienst getan. Sicher scheint nur, dass es den Nazarener noch nicht gegeben haben kann. Der historische Jesus mag einen guten Job gemacht haben, wie Donald es vielleicht formulieren würde. Was die Kirche Paulus draus gemacht hat, widert mich an, seit dem ich Kirchtürme als solche ausmachen konnte. Teil eines Paradigma ist nicht nur die Wahrnehmung von etwas, sondern auch die Auslegung und also die Art und Weise der Auswertung von gewonnen Erkenntnissen, wie Kuhn in seinem Standardwerk über Paradigmen schreibt. In diesem Sinne hat der spätere Klerus Jesus noch mehrfach ans Kreuz genagelt. Ein Freigeist und Befreier zum Götzenmann degradiert. An den Steinen von Callanish erscheint ein Pärchen um die vierzig. Sie beginnt Stein für Stein zu berühren. Er betrachtet die Achsen der Reihen, scheint einen Punkt ausfindig zu machen. Dann baut er ein Stativ auf und fotografiert die uns fremde Schöne, die sich in verschiedenen Yoga-Stellungen bemüht. New-Ager denken wir, ein paar Witze machen die Runde. Verrückte haben Momo und ich schon reichlich in Irland gesehen, Neu Druiden und Kelten-reborner. Doch Verrückte sind wir auch, nur nicht gekommen, um unsere Vorurteile zu bestätigen. Unser Job ist die Empirie und Recherche. Ich bitte die beiden einfach um ein Interview.
Renè und Edgar kommen aus Holland und Belgien. Schon nach wenigen Minuten geraten wir in ein reghaftes Gespräch über ihre Reise hierher und ihre Vorstellungen der Welt, ihre Beziehungen zur Erde und der Natur. Ich bin berührt von den beiden. Sie sind gewiß keine esoterischen Vieldeuter, sondern zwei freie und erfrischende Geister. Beide wuchsen katholisch auf und hatten ganz unterschiedliche Paradigmenwechsel hinter sich, ehe sie sich sich der Natur und sich selbst zuwandten. Wenn Donald sich mal Zeit und Raum nehmen könnte, jetzt diesem Gespräch beizuwohnen. Augen könnte es ihm öffnen, wenn er dafür welche hätte. Doch er dient einem anderen Paradigma, das in diesen Tagen geradezu lächerlich zu zerbrechen droht. Das Paradigma des starken Präsidenten, der der Welt seinen Stempel aufdrückt. Längst haben sich in dem Kasperletheater der Rüstungsindustrie (frei nach Zappa) die Marionettenspieler zeigen müssen. Manche nennen es tiefen Staat, die Noch-auf-die Demokratie-Hoffer nennen es Check and Balances. Klar ist nur, dass die Matrix Risse hat und zeigt, was Nietzsche lange wußte: Staaten sind die kältesten aller Ungeheuer. Wenn man Menschen wie Renè und Edgar begegnet, fragt man sich, warum wir den Monstern das erlauben und wann wir wieder zu Drachenjägern werden. Wir vielleicht nicht mehr, vielleicht eine jüngere Generation. Nur sollten wir nicht wieder fünftausend Jahre warten. Denn in düsteren Kirchen sollten die Freien nicht frömmeln müssen, eher neue Steinkreise errichten, „um die Erde zu berühren“, wie es Renè ausdrückt.

Die Expedition

Schottland 2017

Paradigma – Rund Schottland   Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen. Wer gibt Erklärung solcher Schleudermacht? Der Philosoph, er weiß es nicht zu fassen. Da liegt der Fels, man muß ihn liegen lassen. Zuschanden haben wir uns schon gedacht. (Aus „Faust 2“ von Johann Wolfgang von Goethe) Im Jahr 1840 durchstreift Louis Agassiz

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Expeditionsblog

Expeditionsteilnehmer

Peter Adler
(Maler/Bildhauer)

Kai-Uwe Kohlschmidt (Autor/Komponist)

Momo Kohlschmidt
(Schauspielerin/Sängerin)

Wolfgang Wagner
(Schauspieler/Übersetzer)

Katharina Groth
(Schauspielerin)

Dietmar Arnold
(Stadt- und Regionalplaner/Autor)

Ariane Afsari
(Historikerin)

Thomas Kney
(Skipper)

Das Expeditionsrouting

Die Künstler von Mangan25 begaben sich im August 2017 für ein Radiofeature auf Spurensuche. Mit einer Segelyacht sollte das Thema reisend eingekreist und untersucht werden. Rund Schottland hieß der Kurs und führte die Reisenden einmal rund um Schottlands Küsten.

Glasgow → Oban → Tobermory → Dunvegan →  Stornoway → Kinlochbervie → Thurso → Stromness → Wick → Helmsdale → Inverness → Loch Ness → Banavie → Iona → Tobermory → Oban → Glasgow

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